Studenten-Ulk und Sozialsatire

betr.: „Pi mal Daumen“ von Alina Bronsky

Oscar Maria Graf von Ebersdorff und Moni Kosinski könnten unterschiedlicher nicht sein. Oscar gilt mit 16 als hochbegabt, Moni hat bereits drei Enkel. Sie begegnen sich an der Uni, wo der ehrgeizige, aber alltagsuntaugliche Oscar auf eine große Karriere hofft, Moni aber für die Putzfrau gehalten und belächelt wird. Beide studieren Mathematik. Wider Erwarten finden die zwei Außenseiter der akademischen Welt zusammen und schaffen es mit vereinten Kräften, ihr Leben in die richtige Richtung zu lenken.

„Pi mal Daumen“ von Alina Bronsky ist ungelogen das witzigste und gescheiteste deutsche Buch seit „Fleisch ist mein Gemüse“ (wenn man all die Publikationen von Clemens J. Setz einfach mal höflich ignoriert). Es ist sogar noch etwas besser als Heinz Strunks moderner Klassiker, weil es paar kluge Kniffe anwendet, die ich mir fürs Leben merken werde.
Die Autorin, die wir ohne Umwege als vages Vorbild für die zentrale weibliche Figur Moni annehmen dürfen, tritt nicht in die Falle, diese zur Ich-Erzählerin zu machen und damit automatisch in den etwas muffigen Trampelpfad der pseudo-ironischen Selbstrechtfertigung einzubiegen, auf dem es sich praktisch die gesamte zeitgenössische Belletristik seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts bequem macht. Alina Bronsky übergibt diese Aufgabe an jemanden, den sie in jeder Hinsicht zu Monis Gegenpol aufbaut. Dass er als weltfremder 16jähriger trotzdem zum versatilen Erzähler taugt, wird durch seinen Autismus nachvollziehbar und dann Zeile für Zeile bravourös umgesetzt.

Seit der HeinoJaeger-Biographie von Joska Pintschovius (auch schon wieder knapp 20 Jahre her) habe ich nicht mehr so ungläubig in einer so unablässig geistreichen Zeilenfolge gelebt, mich so verloren in einer Satire, die ebenso boshaft wie zärtlich ist. Bronsky trifft außerdem einen Ton, in dem die unablässigen popkulturellen Anspielungen, von denen wir inzwischen medienübergreifend umgeben sind, in einem unangestrengten Sound zusammenfinden, der nie nach einer bestimmten Zielgruppe schielt. Das verhindert schon das Personal, das buchstäblich aus sämtlichen Generationen und Gesellschaftsschichten zusammengewürfelt ist. Und obwohl Monis Familienleben als ziemlich vermurkstes Sozialexperiment geschildert wird, bleibt da immer dieses Urvertrauen, dass man im entscheidenden Moment jemanden haben wird, der einen nicht im Stich lässt – und sei es ein Wesen aus einer anderen Dimension. Das führt dazu, dass wir niemals mit irgendjemandem Mitleid haben müssen und ist sehr angenehm.

Übrigens ist auch die Hörbuch-Version ein Volltreffer (Das Leben kann so großzügig sein!). Fabian Busch liest den Text nicht nur mit einem jugendlichen Pfeffer in der Stimme, der sich mit dem zur Zeit der Handlung 16–18jährigen Helden gut identifizieren lässt. Er liefert ganz allgemein eine ungewöhnlich lebendige und pointensichere Darbietung ab. Auf einem Hörbuchmarkt, der von Tatort-Kommissaren und anderen hörbar lesefaulen Promi-Stimmen verstopft ist, wirkt diese Performance wie eine Fata Morgana.

Und was sagt die Kritik zu „Pi mal Daumen“?
Die „Zeit“ tut dem Roman zwar unrecht, indem sie ihn gemeinsam mit 99 anderen „Büchern des Jahres“ lobt, als wären alle gleichviel wert. Doch sie hat recht mit dem Fazit: „zum Schluss kann man sich nicht der Trauer erwehren, den Roman ausgelesen zu haben.“
Der NDR erkennt (Vorsicht Spoiler!), „was den Roman auszeichnet und so liebenswert macht. Denn die Autorin verfolgt kein pädagogisches Programm. Aus dem kontaktscheuen Oskar wird am Ende kein soziales Wesen, und Moni avanciert auch nicht zur Spitzenforscherin. Doch beide erkennen, was sie aneinander haben“.
Mir fällt noch eine Zeile aus einer alten Kritik ein, die sich eigentlich auf den Film „Tootsie“ bezog, der einen ähnlichen Zauber entfaltet. Da heißt es: „was ganz nebenbei von der Schwierigkeit, Frau zu sein, mitgeteilt wird, macht sich, verglichen mit der verbiesterten Tunnelsichtigkeit des deutschen Sozialarbeiter-Kinos, aus wie Champagner an einem Frühlingstag“.

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