Die ewige menschliche Suche nach dem noch ärmeren Würstchen

In einem der Interviews, die Heinz Strunk anlässlich seines neuen Romans „Zauberberg 2“ gegeben hat – seine pünktlich zum „Zauberberg“– und ThomasMann-Jubiläum fertiggestellte Hommage an die großen Vorläufer – war er bestrebt, seinen möglichen Kritikern das Wasser vor-abzugraben. Die würfen ihm am liebsten seinen grundfinsteren Blick auf die Menschen vor, und das stimme einfach nicht. Er schriebe nicht schlecht über die Menschen, er verzichte nur darauf, sie positiver (und optisch ansehnlicher) zu zeichnen als sie sind. Auch den Vorwurf, sich an Thomas Manns weltberühmtem Bildungs- und Jahrhundertroman verhoben zu haben, sah er ohne viel Fantasie voraus. Hier konnte er nur beteuern, er habe sich dieser selbstgestellten Aufgabe mit Andacht und Respekt genähert und die Motive und inhaltlichen Überschneidungen mit der Vorlage ebenso streng im Auge behalten wie deren Vermeidung an anderer Stelle.
Das glaube ich ihm. Und natürlich darf jeder so etwas tun, zumal wenn er sich wie Strunk 20 Jahre lang in unserer Literaturszene gehalten und immer wieder Bücher vorgelegt hat, die Beachtung fanden. Besonders berechtigt war diese bei seinem Tatsachenroman „Der goldene Handschuh“.

Spätestens bei „Zauberberg 2“ fällt mir aber nun etwas auf die Füße, was ich durchaus schon bemerkt, bisher aber ganz gut weggesteckt habe (ich habe in viele von Strunks Bücher nur hineingeschmökert, ohne sie vollständig zu lesen). Eine Handlung im Sinne einer Entwicklung gibt es bei diesem Autor nicht (abgesehen von seinen beiden ausdrücklich biographisch gefärbten Arbeiten). So sieht man ihm eben bei der Sache zu, die übrigbleibt: schnodderig-lustige Umschreibungen des Alleralltäglichsten entweder zu erfinden oder den Kodderschnauzen und Kieztypen in seiner Umgebung abzulauschen. Comedians machen sowas auch – wenn auch nicht immer so gekonnt wie Strunk und obwohl sich dieser ja gern mit dem Satz zitieren lässt: „Wo Comedy draufsteht, ist Scheiße drin!“
Was aber unterscheidet Belletristik von Comedy? Nun ja: ggf. eine Handlung, die die Gags bzw. Pointenversuche so anordnet, dass sie mehr ergeben als nur eine Abfolge von Gags und Pointenversuchen. Bei Heinz Strunk gibt es allenfalls eine Klammer (einen Ort, eine Unternehmung …), aber solche Klammern setzen Comedians auch gern oder täuschen sie wenigstens vor.
Die Folge solchen Vorgehens erleben wir im neuen Buch: es passiert praktisch nichts (logo, ohne Handlung …). Das ist ein Vorwurf, den viele (auch Strunk dieser Tage) Thomas Manns „Zauberberg“ selbst machen. Das wäre eine gute Pointe, aber angesichts von „Zauberberg 2“ ist mir gerade nicht nach Lachen zumute.

Ich habe nämlich noch ein anderes wiederkehrendes Problem. Alle Bücher dieses Autors (inklusive „Fleisch ist mein Gemüse“ und „Der goldene Handschuh“) haben nämlich ein gemeinsames Thema – Strunks einziges, wenn er ehrlich ist: müden Welt-Ekel. Einen Welt-Ekel, der immer aus dem Selbst-Ekel zu sprießen und sich von dort auf sämtliche Figuren gleichmäßig auszubreiten scheint, die dann alle wiederum nur dieses eine Thema haben. Alles läuft letztlich darauf hinaus, dass wir arme Würstchen sind – besonders in optischer Hinsicht.
Dabei sagt der Autor selbst sinngemäß: wer schriftstellerisch nur aus sich und dem eigenen Leben schöpft, wird sehr bald nichts mehr zu erzählen haben. Was seine Romane betrifft, sitzt er seit Jahrzehnten in dieser Falle, ohne es selbst gemerkt zu haben.
So werde ich mir als nächstes einen seiner Erzählungsbände anschaffen. Mit seiner Verteidigung dieser vom Publikum wenig geschätzten kleinen Form hat er unbedingt recht. Vielleicht mache ich ja bei der Lektüre die Feststellung, dass Heinz Strunk im Grunde gar kein Romancier, sondern ein Meister der Short Story ist.

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