betr.: Lionel Richie
Zugegeben: es ist ein bisschen gehässig, von einem so langlebigen Entertainer wie Lionel Richie neben seiner eigentlichen Lebensleistung auch noch Esprit und urbane Geselligkeit zu erwarten. Andererseits: wenn jemand zu Werbezwecken gesprächig wird und allerseits exklusive Interviews gewährt, dann sollten die im Mindesten originell sein. Im „ZEIT-Magazin“, Deutschlands ehrwürdigster noch existierender Tiefdruckbeilage, wirkt Richies Reklamegespräch aus Anlass der bevorstehenden Deutschlandtour nicht nur im Umfang etwas mager, es strotzt außerdem vor Plattheiten der Sorte „Ich liebe meine Familie“, „Ich bin ein kluger Papa! (Hab ich schon erwähnt, dass ich Kinder habe?“) oder „Wenn man berühmt ist, wird man überall erkennt“. Dabei erzählt der Meister in einer der wenigen leidlich pfiffigen Passagen, wie vorhersehbar die vermeintlich raffinierten Schwindeleien seiner Kinder schon deshalb sind, weil er die selben wortgleich schon in seiner eigenen Kindheit benutzt hat (so vorhersehbar wie sein Interview, wenn man vorher schon andere gelesen hat).
Vielleicht bin ich aber besonders streng mit Lionel Richie, weil er gleich zu Beginn ausgerechnet den 80er Jahren eine Substanz zuschreibt, die es heute nicht mehr gebe. Damit hat er insofern recht, als es substanzmäßig ja immerfort bergab geht, und insofern waren wir vor 40 Jahren zwangsläufig in einer besseren Lage. Aber in den 80ern ging es eben erst so richtig los mit dem Substanzabbau in der Popkultur. Dass Richies 16jährige Tochter diese Ära so toll findet, liegt eben nicht an deren Substanz, sondern daran, dass sie nie erfahren wird, wie vulgär und trostlos diese Zeit tatsächlich war („Null Bock auf gar nichts“ lautete die Devise). Das wird im Rückblick noch gruseliger, wenn man dem Musiker in diesem Punkt folgt: „Aber wir trugen früher keine Outfits. So sahen wir aus. (…) Bis heute wird versucht, die Mode dieser Ära zu kopieren. Aber alles war echt. Es war keine lustige Spielerei, sondern jeder brachte so seine Kreativität voll zum Ausdruck.“