Nature Writing

Diese literarische Aufarbeitung der Natur boomt auch im deutschsprachigen Raum, ist jedoch ein sehr altes Genre. Persönliches mit Natur zu verknüpfen, ist ein Markenzeichen des „Nature Writing“. So durchschwamm die kanadische Autorin und Vierjahreszeiten-Schwimmerin Jessica J. Lee die Seen Berlins und berichtete über die stabilisierende Qualität dieser Unternehmung in „Mein Jahr im Wasser. Tagebuch einer Schwimmerin“ (2017). Und der Oxford-Professor Charles Foster erzählt in „Der Geschmack von Laub und Erde – Wie ich versuchte, als Tier zu leben“ (2018) von einem radikalen Selbstversuch, der ihm auch verriet, was es bedeutet, Mensch zu sein.

Das Konzept stammt aus den USA, wo Henry David Thoreau (1817-62) ungewöhnlicherweise die Natur zur literarischen Hauptfigur machte, insbesondere in seinen Tagebüchern. Darin legte er ellenlange Listen etwa über Apfelsorten an, ihr Vorkommen und ihre Charakteristika. Sein berühmtestes Buch „Walden oder Leben in den Wäldern“* hingegen ist mehr Pamphlet als Literatur. 1845-47 lebte der Autor für zweieinhalb Jahre allein in einer selbstgebauten Hütte am Walden-See in Massachusetts. Er praktizierte die große Verweigerung und inspirierte damit die amerikanische Bürgerrechtsbewegung und Generationen von Aussteigern. Menschen auf Sinnsuche fasziniert er bis heute. („Ökonomie“ heißt das erste und zugleich grundlegende Kapitel, in dem er von den Motiven berichtet, die ihn zum radikalen Schritt in die Einsamkeit gebracht haben.) Thoreau war einer der ersten großen Visionäre eines „anderen“ Amerika.
Eine andere wichtige Vertreterin des Genres ist die US-Amerikanerin Josephine Johnson (1910-1990), bis heute die jüngste Trägerin des renommierten Pulitzer-Preises. Sie bekam ihn 1935 mit 24 für ihren ersten Roman „Novemberschwestern“ („Now In November„, 1934). Schon dieser Roman über eine Farmersfamilie während der Großen Depression gibt der Natur ein Gewicht, macht sie neben den Figuren zur gleichberechtigten Protagonistin. Johnson veröffentlichte ein weiteres Dutzend Bücher, die alle vergriffen sind.1969 machte sie noch einmal Furore. Sie und ihr Mann hatten beschlossen, ihre Farm an die Natur zurückzugeben. Was sich dann abspielte, beobachtete die Autorin ein Jahr lang. „Ein Jahr in der Natur“ („The Inland Island„) ist ein Meilenstein des Nature Writing.**

Unabhängig von den genannten Klassikern hat der französische Naturforscher Jean-Henri Fabre im Rahmen eines privaten Experiments, das 1879 begann, mit seinen viele Bände umfassenden „Souvenirs Entomologiques“ die Verhaltensforschung und die Ökophysiologie begründet und wurde sogar für den Literaturnobelpreis erwogen.***

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* Hier als Lesung in Fortsetzungen: https://www.ardaudiothek.de/episode/urn:ard:episode:af7c1fa8e64451ab/
** Josephine Johnson. Ein Jahr in der Natur. Deutsch von Bettina Abarbanell. 276 Seiten. Die Andere Bibliothek / https://www.srf.ch/audio/passage/josephine-johnson-pionierin-des-nature-writing?id=AUDI20251031_NR_0003
*** Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2014/12/21/schatzmeister-silberfisch/

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