Das kann doch nicht so schwer sein

betr.: „Neue Fälle für Miss Marple“ als Lesungen im SRF Krimi-Podcast

Macht ganz schön was mit: Miss Marple (Abb.: SRF Homepage)

Wer heute noch kreativ ist, ist selber schuld. Nicht genug damit, dass die KI es inzwischen gut genug kann, um damit Kohle zu machen. Es ist ganz allgemein so, dass sich schon Dagewesenes am leichtesten verkauft: alte Showkonzepte, immer dickere Franchises und gemeinfreie Dauerbrenner à la Sherlock Holmes. (Wenn auch Stefan Raab gerade eine andere Erfahrung macht …)
Das Werk der Agatha Christie ist noch urheberrechtlich geschützt, also werfen die Erben, organisiert in der „Agatha Christie Limited“, die Melkmaschine an, solange es noch geht. Miss Marple darf (muss …) weiterermitteln.

Der SRF Krimi-Podcast, in dem Wolfram Höll und Susanne Janson allwöchentlich donnerstags Hörspiel-Ursendungen und -Archivschätze präsentieren, wird sich in den nächsten Wochen der Serie „Neue Fälle für Miss Marple“ widmen. Höll hat vier Lesungen solcher Fälle eingerichtet und stellt diese nun mit begreiflicher Zuneigung dem Publikum vor. Auf der Homepage heißt es zum Inhalt nur knapp: „Der erste Fall seziert die Unterschiede zwischen Hausherren und Bediensteten.“ Das ist auch das Fazit der Moderatoren nach dem Anhören der Lesung: Frau Christie hätte sich etwas mehr um Klassenunterschiede kümmern und sich (mit meinen anderen Worten) an ihrer Nachschreiberin Lucy Foley ein Beispiel nehmen können, wenn sie sie noch hätte erleben dürfen.

Die SRF-Reihe wirbt mit der guten Margaret Rutherford (siehe Abbildung), weil die immer noch das unangefochtene Gesicht dieser Figur ist, und einer stupiden Jingle-Version der alten Filmmusik. Die Texte orientieren sich allerdings an der literarischen Figur der Hobby-Detektivin, die von ihrer ersten filmischen Verkörperung bekanntlich deutlich abwich. Obwohl Lucy Foley den Stil der Agatha Christie auf den ersten Blick leidlich parodiert (das wäre ja auch noch schöner!), sorgt die Unbescheidenheit dieses Ansinnens von Anfang an für den eigentlichen Nervenkitzel. Der Titel „Das Böse in kleinen Ortschaften“ lässt die Kenner der Christie-Bücher an St. Mary Mead denken, Miss Marples Heimat-Örtchen (das bei Rutherford „Milchester“ heißt). Doch die Detektivin ermittelt außerhalb. Die gruseligen Ereignisse, die man meinte, der Fangemeinde zum Einstieg anbieten zu müssen, sind doch zu groß und zu fruchtig, um sie vor Miss Marples Haustür anzusiedeln.
Selbstverständlich kann am Genie der Weltliteratin Agatha Christie niemand mal so eben hochklettern. Schon gar nicht – da muss ich Frau Foley in Schutz nehmen – wenn eine Erbengemeinschaft in den Texten herumschmiert. Doch ein bisschen mehr Verständnis für die zwischenmenschliche Beobachtungsgabe der Vorlage würde guttun – ständig „meine Liebe“ zu sagen macht noch keine Miss Marple. Was außerdem fehlt, ist der Respekt vor dem zutiefst humanistischen Weltbild Agatha Christies, das woke Marketing-Kraftmeiereien wie die weiter oben und unten zitierten ebensowenig nötig hat wie moralische Belehrungen der Nachwelt. Auch sonst musste ich beim Anhören der Geschichte an Hannibal Lecters berühmten Ausspruch über seinen Kerker-Psychiater denken: „Er fummelt an meiner Psyche herum wie ein Pennäler an einem Miederhöschen.“

Von eigener Inspiration kann bei einer solchen Unternehmung ohnehin keine Rede sein, aber ich hätte mich gern positiv überraschen lassen. Literarische Anspielungen gehören bei dieser Art von Belletristik zur Atmosphäre. Im neuen Fall wird auf Alfred Tennysons Ballade „The Lady Of Shalott“ bezug genommen. Das ist der Christie-Bastelgruppe nicht etwa selbst eingefallen – solche Bücher lesen diese Leute nicht – es ist eine Idee aus dem späten Miss-Marple-Krimi „The Mirror Crack’d From Side To Side“ von Agathe Christie, dessen Titel aus der besagten Ballade stammt.

Apropos anhören: was taugt die Lesung von Ilknur Bahadir (respektive die Regie von Susanne Janson)? Es ist ein solider, leicht unterdurchschnittlicher Vortrag, der zu allzu knalligen Chargen aufläuft, wenn man eine Figur besonders unsympathisch darstellen will (um der vermuteten Schwerfälligkeit des Publikums entgegenzukommen). Was man halt so macht, wenn man Teil eines so großen Produktes ist. Im Gespräch nach der Lesung spricht Susanne Höll sogar (mit Respekt) von den Vorschriften, die ihr bei der Produktion von der Christie-Vereinigung gemacht wurden.

Auf der Resterampe rutscht sich’s wie geschmiert: „Tod auf dem Nil“ und „Mord im Orient-Express“ lassen schon nächste Woche als Ideengeber grüßen. (Abb.: SRF-Homepage)

Nächsten Donnerstag wird die Schraube weiter an- und zwei der berühmtesten Fälle von Hercule Poirot (Marples berühmterem Kollegen im literarischen Kosmos der Autorin) mit in die Wurstmaschine hineingezogen: „Mord im Ostasien-Express! Miss Marple reist nach Hongkong: an Bord des Dampfers «Die Jadekaiserin». Sie freundet sich mit einem älteren chinesischen Herrn an. Bald wird er ermordet – und er wird nicht der einzige bleiben. Miss Marples Neugier für andere Kulturen ist gefragt …“
St. Mary Mead ist nicht genug!
Ich freue mich auf Folge 4. Da dürfte dann er erste Weltraumflug der alten Lady anstehen.
Leben Sie long and prosper, meine Liebe!

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