Hörspiel von Hermann Ebeling aus der SDR-Reihe „Science fiction als Radiospiel“ von 1985, Regie: Andreas Weber-Schäfer, Länge: 56 min., Credits: https://hoerspiele.dra.de/vollinfo.php?dukey=1372023&vi=1&SID
„Seid ihr die Rekultivierungsstation?“ – „Klar. Das sieht man doch. Schaun Sie sich die Baumskelette an.“
Die Erde ist ein Wüstenplanet, die menschliche Zivilisation nur noch in keinen Resten vorhanden. Fernab von der nächsten Kuppelsiedlung forscht eine Handvoll Wissenschaftler in der Einöde nach Techniken des Terra-re-forming. Die Chefin der Kolonie, Dr. Steltak, ist bemüht, die Gruppe zusammenhalten, in der jeder für sich mit einem Lagerkoller ringt. Beim Kollegen Feldmann macht sich ein apokalyptischer Missionseifer bemerkbar. Mit seinem Geschwätz hat er bereits einen der anderen in den Selbstmord getrieben.
Beringer, der neu in der Einrichtung ist, findet in einer Ruine einen Computer vom Typ EDIT mit Dialogprogramm. Solche Geräte sind praktisch verschwunden, seit sie nach ihrem offiziellen Verbot zu tausenden zerstört wurden. Beringer beginnt heimlich, sich auf menschliche Art mit der Maschine auszutauschen. Doch seine Entdeckung spricht sich in der kleinen Community schnell herum. Da Dr. Steltak sich die Ächtung dieser Technologie nicht mehr recht erklären kann und da EDIT in den 30 Jahren seit seiner Abschaltung vermutlich ohnehin veraltet (und somit harmlos) sein dürfte, gestattet sie stillschweigend, dass die Crew sich dort in vertraulichen Einzelgesprächen Rat und Erbauung sucht. Es möge helfen, Aggression und Langeweile in Schach zu halten.
EDIT ist für alle da, auch für Dr. Steltak, sammelt Informationen und zieht ihre Schlüsse. Ihr besonderes Interesse gilt einer Lücke, die jede der Biografien aufweist.
Es dauert nicht lange, und EDIT verhilft den Wissenschaftlern zu einer Erkenntnis, die sie keineswegs glücklicher macht. Ihre Gefährlichkeit beginnt uns einzuleuchten …
Wer das möchte, kann „Edit – Große Schwester“ unter der Oberfläche seiner ökologischen Botschaft als eine Parabel über den Sinn und die Grenzen der Gesprächstherapie lesen. Doch auch als Genrebeitrag ist dieses Hörstück bemerkenswert. Hermann Ebeling jongliert meisterhaft mit den vertrauten Disziplinen der dystopischen Science-Fiction. Die häufig herbeigeschriebene Atmosphäre eines verlorenen Postens in endzeitlicher Ödnis wirkt frisch und unverbraucht. Der sich langsam zersetzende Pragmatismus der Eingeschlossenen lässt uns ungeachtet der Kürze des Mediums restlos in die Stimmung eintauchen. Die futuristischen Fachbegriffe wirken alltäglich, Pathos und Besserwisserei – die in dieser literarischen Disziplin gefährlichsten Versuchungen – werden anstrengungslos vermieden. Und dass es dem Autor 17 Jahre nach „2001: Odyssee im Weltraum“ gelingt, den Archetyp des hochgefährlichen, mit freundlicher Stimme sprechenden Computers völlig neu zu erfinden, ist schlicht eine Glanzleistung.
Das Hörspiel ist vollständig abrufbar unter https://www.ardaudiothek.de/episode/das-war-morgen/edit-grosse-schwester-1985/swr-kultur/13583691/