betr.: „Klassik-Pop-et cetera“ im Deutschlandfunk
Die dankenswerte Wiederholung der Sendung, in der Rudi Carrell eine eigene Musikauswahl präsentiert und aus seinem Leben erzählt, dürfte niemand freiwillig versäumt haben, der in meinem Alter ist. Die Aufzeichnung stammt aus dem Jahr 1978, in dem sich Carrells Genie als Stallmeister der Samstagabend-Unterhaltung auf dem Höhepunkt befand. Sein aktuelles Format „Am laufenden Band“ war und bleibt eine einsame Spitzenleistung innerhalb und jenseits seiner Werkschau. Und es war das Jahr, in dem ich endgültig beschloss, keine dieser Sendungen mehr versäumen zu wollen.
Heute halte ich es mit „Klassik-Pop-et cetera“ ebenso, und wieder setzt sich Carrell bescheiden an die Spitze der meisten seiner Vorredner.
Neben seiner großartigen Musikauswahl sind es die teils persönlichen, teils historisch / teils fachlich hochinteressanten Dinge, die er zu erzählen hat.
Sogar die kleinen Widersprüche machen Freude und schärfen den Geist.
So erzählt Carrell zu Beginn, er habe sein geliebtes Heimat-Örtchen zwanzig lang nicht besucht. Das bedeutet, dass seine musikalische Liebeserklärung an Alkmaar (1963 im niederländischen Fernsehen) in diese große Pause fällt. – Das Lied war übrigens eine Neubetextung von „Dear Old Syracuse“ aus der Show „The Boys From Syracuse“ (1938), die in London gerade ein Revival erlebte – unzweifelhaft hat Carrell sie dort erlebt und gleich in seine Show eingebaut.
Die Moderation, in der er von der Bedeutung des klassischen (!) Broadway-Musicals für seine Arbeit spricht, ist eines von vielen Kabinettstückchen der Sendung. Er berichtet von seiner besonderen Liebe zu Yves Montand und Marlene Dietrich, und natürlich ist Frank Sinatra für ihn der Größte. Er lässt diesen „Soliloquy“ aus dem Musical „Carousel“ singen, und ich verstehe seine Aussage, dies sei sein Lieblingstitel in seiner gesamten Sinatra-Plattensammlung (obwohl ich bei diesem Song die Interpretation von Gordon McRae vorziehe). Ebenso entzückt war ich vom Wiederhören mit „What Kind of Fool Am I?“ (leider ebenso wie „Soliloquy“ brutal gekürzt und ausgeblendet – siehe unten), ein Song den Carrell „seit 1962 liebt und erst heute wirklich versteht“ (also seit er – so liegt nahe – die Ur-Inszenierung des Musicals „Stop The World – I Want To Get Off“ wiederum im West End gesehen hatte). In diesem Zusammenhang ist es vielleicht interessant, dass Sinatra das Lied zu jenen zählte, die er niemals singen würde, weil er sie überhaupt nicht nachvollziehen könnte …
Es spricht einiges dafür, dass meine intellektuelle Rührung nicht jeden befällt, der Carrell zuhört. Die Sendungs-Homepage des DLF spricht etwas verlegen von einem „schmachtenden Herbst-Gruß“, der durch den Äther ginge. Aber muss man die Sendung deshalb so rüde zusammenkürzen (man hört jeden Schnitt!), nur um dafür die Erkennungsmelodie zweimal komplett durchlaufen zu lassen? Nicht falsch verstehen: ich liebe Horst Jankoswki und sein tolles Sendungs-Indikativ, aber für seine erschöpfliche Präsentation auf Kosten von Text und Musik des Studiogastes gab es zuletzt an anderer Stelle bessere Gelegenheiten.