Die Methode Hulot

betr.: 117. Geburtstag von Jacques Tati

Mit seinem zweiten und gefeiertesten Film „Die Ferien des Monsieur Hulot“ hat Jacques Tati „eine klassische Figur der Filmkomödie geschaffen“, lobt Peter Wiesmeier in „100 Filme“, „ein Neutrum, ein weißes Blatt Papier, ein emotionsloses Wesen mit Kommunikationsproblemen – jeder kann in ihn etwas von seinen eigenen Abneigungen, Sympathien und Schwierigkeiten hineinprojizieren. Jeder kann mit diesem Ritter der komischen Gestalt mitreiten im Kampf gegen die Tücke des Objekts“. Spätestens mit dem besagten Film gelang Tati sogar noch etwas anderes: er hat – ein knappes halbes Jahrhundert, nachdem seine Landsleute das Kino und den filmischen Slapstick erfunden und die Amerikaner diesen veredelt und verfeinert hatten – das Kunststück fertiggebracht, diese Humorgattung auf eine neue Stufe zu heben und um eine Variante zu erweitern. Sie ergänzt die physische Stummfilm-Komik um die Ton-Ebene – Geräusche spielen eine große Rolle, und auch Sprache wird als Geräuscheffekt eingesetzt – und dämmt sie auf Details, aufs Kammerspiel herunter. Ihre Ereignisse tragen sich in einem geschlossenen Raum zu oder sie verlieren sich unter freiem Himmel in einem größeren Bild, in dem sie nur einen winzigen Ausschnitt bespielen; bei Tati gern zugleich mit mehreren Parallel-Phänomenen. Vor allem in Europa haben nachfolgende Generationen von Komikern dieses Feld intensiv bespielt, etwa Loriot oder The Monty Python. Rowan Atkinson alias „Mr. Bean“ hat sich sogar darauf konzentriert.

1949 war die Premiere von Tatis erstem Spielfilm „Tatis Schützenfest“ („Jour de Fête“), der auf der Varieténummer „Schule der Briefträger“ basiert, „eine Art nationales Ereignis, die Gewissheit, dass das komische Kino Frankreichs seine Wurzeln wiedergefunden hat, die verschüttet waren, seit (…) dem Werk Max Linders, das 1925 abbrach.“ (Pierre Philippe in „Jacques Tati – Le rire démocratique“).  

Was Tatis innovatives Konzept für das Publikum bedeutete, beschreiben Ronald M. Hahn und Volker Jansen in „Kultfilme“ aus eigener Betrachtung. 1963 nutzte der 13jähige Rezensent („mit dreijähriger Kinoerfahrung“) die bundesdeutsche Wiederaufführung von „Die Ferien des Monsieur Hulot“ für eine Analyse, nachdem er sich 36. Wochen über den anhaltenden Erfolg im örtlichen Kino gewundert hatte. „Ich war gut vorbereitet, hatte ich doch kurz vorher – wie ich dachte – amerikanische Spitzenleistungen auf dem Gebiet des Humors gesehen, etwa ‚Der fliegende Pauker‘ oder einige JerryLewis-Filme, und jedesmal war ich vor Lachen kaum aus der Türe gekommen.“ Die monothematische Situations-Revue von „Monsieur Hulot enttäuschte mich auf der ganzen Linie. Doof und albern, war mein fachmännisches Urteil. Man konnte ja kaum etwas verstehen, nicht einmal zusammenhängende Sätze, komische Geräusche, gar keine richtige Handlung, nur ein Episödchen nach dem anderen, alles nur durch den Urlaubsort und diese unmöglich stolzierende Person zusammengehalten“ – bis hierher eine gute Zusammenfassung von Tatis Arbeitsweise – „allenfalls ein Vergnügen für Sechsjährige und Infantile! Mir war die Reaktion des Publikums dabei völlig unverständlich. In der einen Ecke des Kinos platzen regelmäßig wohlstandsdicke Bäuche vor Lachen, aus der Mitte wieherndes Gelächter, dann dumpfe Hohos und in der anderen Ecke kräftige Hahas – die Zuschauer gingen vor Vergnügen mit, ohne dass es zu solchen generellen Lachsalven kam, wie ich sie von den Vorstellungen amerikanischer Humorergüsse her kannte.“ Mit etwas Abstand staunte der Autor allerdings, wie gut ihm dieser Hulot im Gedächtnis geblieben war, wie gern er ihn 20 Jahre später wiedersah. „Und da wurde er mir klar, der Unterschied zur amerikanischen Gag- und Lachsalvenfabrik! Tatis Film ist ein ruhiger Film mit langen Einstellungen, in denen viele Ereignisse und Gags gleichzeitig ablaufen. Je nach Wahrnehmungsfähigkeit entsteht im Kopf des Betrachters ein mehr als nur um Nuancen anderer Film. Jeder Zuschauer sieht seinen eigenen Hulot-Film. (…) Der Zuschauer soll selbst entscheiden können, was er sehen möchte oder nicht.“   

Der detailbesessene Autor / Regisseur / Hauptdarsteller Tati nahm sich für jeden seiner Filme mindestens vier Jahre Zeit. Er holte sich seine Anregungen auf ausgedehnten Spaziergängen durch Paris. Auf diese Weise brachte er es nur auf fünf fertiggestellte Filme, von denen ihn alle bis auf den ersten in seinem Hulot-Charakter zeigen.

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