Glanz und Elend der Autobiographie
In einer idealen Welt wäre jeder selbst der Beste, um über sich zu schreiben, denn dann wüsste der Autor all das Wissenswerte aus eigenem Erleben, was Dritte erst mühsam zusammentragen müssen. Aber erstens kann längst nicht jeder schreiben, und zweitens sieht man von außen manches deutlicher und kann es besser einordnen, zumal im Rückblick. Ach (das ist vielleicht das Wichtigste): Wer über sich selber redet, neigt dazu, mit Deckweiß und Weichzeichner zu arbeiten. Er erzählt schlichtweg nicht das weiter, was er von sich weiß.
Auto- bzw. autorisierte -biographien von Künstlern sind allenfalls eine von mehreren Quellen, um sich einem Werk zu nähern, und selten eine der besseren. Aber sie haben die redliche Chance, die Konkurrenz einzuholen – vor allem mittels Esprit und Selbstironie. Außerdem sind Künstler – im Gegensatz zu Politikern – zur Selbstkritik und Selbstironie immerhin grundsätzlich fähig.
Die Qualität politischer Autobiographien ist von vorneherein durch das Bestreben gedeckelt, ein letztes aber gut vernehmliches Wort bei der historischen Einordnung der eigenen Person und Arbeit mitzureden. (Gut, das Geld spielt sicher auch eine Rolle.) Stefan Reinecke geht sogar noch weiter und spricht in der „taz“ vom „Defekt des Genres“: das Publikum erwarte von solchen Erinnerungen „einen Blick hinter die Kulissen der Macht und Selbstkritik. Beides wird zuverlässig enttäuscht. (…) Aber die Forderung, dass PolitikerInnen gefälligst selbstkritisch zu sein haben, hat etwas Selbstgefälliges, Wohlfeiles. Man delegiert vermeintliches Versagen auf eine Person“ und lässt zu gern die Beschränkungen der jeweiligen Macht außer Acht, die Kompromisse, Interessenkonflikte, die Grenzen des Machbaren. „Der Wunsch, dass PolitikerInnen sich entschuldigen sollen, ist nur bedingt aufklärerisch. Er erinnert nicht zufällig an Rituale der Beichte und stellt unpolitische Selbstreinigung in Aussicht.“