Die schönsten Hörspiele, die ich kenne (29): „Jenseits von Eden“

16 tlg. Hörspiel nach dem Roman von John Steinbeck, NDR 2021 – Credits unter: https://www.ndr.de/kultur/radiokunst/Hoerspielserie-Jenseits-von-Eden,jenseitsvoneden110.html

„Ebenso wie es körperliche Abormalitäten gibt, können auch geistige und seelische Monster geboren werden. Wie ein Kind ohne Arme geboren werden kann, so mag auch eines ohne Güte oder Anlage zu Gewissen geboren werden. (…) Es lässt sich nicht leugnen, dass von Menscheneltern richtige Monster in die Welt gesetzt werden. Es sind Launen der Natur, kein Mensch trägt die Schuld daran. (…) Da sich jeder selbst für normal hält, muss einem Monstrum die Norm als monströs erscheinen. Einem ohne Gewissen geborenen Menschen muss ein von Seelenqualen gepeinigter Mensch lächerlich erscheinen.“

In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts beginnt die Geschichte zweier amerikanischer Familien, die sich bis zur Zeit des Ersten Weltkriegs erstrecken wird. Während sich das Schicksal der Hamiltons an dem der Familie des Autors orientiert, der als Erzähler auftritt, durchleben die Trasks eine allegorische Fiktion, ausgehend von der biblischen Geschichte der Brüder Kain und Abel. Der Brudermord wird sich nicht in der darin beschriebenen Weise ereignen, durchweht die Handlung jedoch als böses Omen.

Wer Weltliteratur in ein Hörspiel überträgt, hat Glück, wenn er nicht unter Zeitdruck steht und tut gut daran, auch sonst am Wortlaut möglichst wenig zu verändern. „Jenseits von Eden“ nimmt sich 551 Minuten und beginnt als Lesung (wir hören Ulrich Noethen, der zuletzt auch als Figur auf der Szene erscheint), die sich mit dem Auftreten des Personals zu einem Ereignis weitet, das unseren kinematografischen Hörgewohnheiten angemessen ist. So kommt die Sprache des literarischen Autodidakten John Steinbeck (1902-68) und seines letzten großen Romans voll zur Entfaltung.

Wer sich dunkel an die berühmte Verfilmung von Elia Kazan erinnert (sie lief früher ab und an zur besten Sendezeit), muss bis zum Cliffhanger der 13. Folge dranbleiben, bis er bei den Erlebnissen des erwachsenen JamesDean-Charakters Caleb Trask ankommt. Irgendwann vorher fällt eher beiläufig der Satz: „Eine große, bleibende Erzählung muss von uns allen handeln.“ Das Hörspiel „Jenseits von Eden“ leistet genau das.

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