Der „Diktatorenroman“ ist das ureigene Literaturgenre Lateinamerikas, der Gewaltherrscher ist die Schicksalsfigur dieses Kontinents. Gabriel García Márquez, der mit „Der Herbst des Patriarchen“ das krönende Werk dieser Gattung vorgelegt hat, merkte dazu an: „Die einzige Erscheinung von mythologischer Dimension, die uns die lateinamerikanische Geschichte beschert hat, ist die Diktatur.“
„Nicht eine Nation auf diesem Kontinent hat sich dem Phänomen zu entziehen vermocht“, führt Hanjo Kesting in seiner Buch- und Veranstaltungsreihe „Erfahren, woher wir kommen“ weiter aus. „Es ist ein verführerisches Thema. Zunächst weil es von der Macht und ihren Wirkungen handelt, außerdem weil es in Lateinamerika mythologische Dimensionen angenommen hat. Seit den Tagen Simón Bolívars beherrschten zahllose Diktaturen die Länder des südlichen Amerika und wechselten einander so häufig ab, dass sich nur wenige Namen dem Gedächtnis einprägen konnten. Demokratische Strukturen entwickelten sich über anderthalb Jahrhunderte hinweg nur spärlich, Wahlen – wenn sie überhaupt stattfanden – stellten meist eine Farce dar, Machtwechsel wurden in der Regel durch Militärputsche herbeigeführt. Der Grundtypus des Herrschers war der Caudillo – noch der spanische Diktator Franco hat sich so genannt -, eine Bezeichnung die in andere Sprachen kaum übersetzt werden kann. In unterschiedlichen Ausprägungen haben solche Caudillos die Geschichte des ganzen Kontinents bestimmt, und das so tiefgreifend, dass sich um diese Gestalten eine ganz besondere Aura herausgebildet hat. Und immer wieder wurden sie auch zum Gegenstand großer Literatur, zu Hauptfiguren von Büchern wie man sie so nur aus Lateinamerika kennt. So wie sich der Abenteuerroman in England, der Bildungsroman in Deutschland und der psychologische Gesellschaftsroman in Frankreich entwickelt hat, so hat sich in Südamerika in immer neuen Ausprägungen der Diktatorenroman herausgebildet. Als in den späten 60er Jahren der mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes ein Sammelwerk zum Thema ‘Die Väter des Vaterlandes‘ plante, suchte er namhafte Kollegen aus den Ländern Lateinamerikas für das Unternehmen zu gewinnen. Jeder Autor sollte ein Kapitel über die Diktatur in seinem Lande beisteuern. Als die Bitte um Mitarbeit den Peruaner Mario Vargas Llosa erreichte, arbeitete dieser bereits an seinem Roman ‚Gespräch in der Kathedrale‘, der 1969 in Barcelona, also in Europa, publiziert wurde. Augusto Roa Bastos aus Paraguay war mit der Niederschrift des Romans ‚Ich, der Allmächtige‘ beschäftigt, der gleichfalls einen Diktator in den Mittelpunkt stellt und 1974 in Buenos Aires erschien. Und der Kubaner Alejo Carpentier schrieb an dem Roman ‚Die Methode der Macht‘, der ebenfalls 1974 in Mexiko herauskam, ein Jahr vor ‚Der Herbst des Patriarchen‘ von Garcia Márquez. Die zeitliche Koinzidenz ist nicht zufällig. Alle erwähnten Autoren, so unterschiedlich ihre Perspektiven und Schreibweisen sein mochten, lieferte die Wirklichkeit Lateinamerikas Anstoß und Material für ihre Bücher.“ Die jeweiligen Machthaber wurden nicht als Personen karikiert, die Erzählungen versuchten die Essenz dieser Wirklichkeit und ihre Gesetzmäßigkeiten zu ergründen. „Als Ausgangspunkt und Modell gilt allgemein der Roman ‚El Señor Presidente‘ von Miguel Ángel Asturias aus Guatemala, geschrieben 1932, aber erst 14 Jahre später in Mexiko veröffentlicht.“ Die Verzögerung hatte politische Gründe …
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