„Ich möchte betonen, dass ich nicht zu den Menschen gehöre, die den Kulturwert eines Filmes nach der Abkehr vom Publikumsgeschmack bemessen, da ich persönlich die Erfahrung gemacht habe, dass das Publikum aller Schichten vom sogenannten künstlerischen Film sich hinreißen lässt und ihn auf den Schild hebt, solange er nur die Gesetze des Filmmäßigen nicht verletzt und Ernsthaftigkeit nicht in Langeweile übersetzt.“
Fitz Lang
Als ich heute im Foyer eines Programmkinos auf eine Kollegin wartete, kamen viele Teenager aus der Vorstellung von Murnaus Stummfilm „Nosferatu“ heraus, eines der ältesten wichtigsten deutschen Filmklassiker und der ersten Verfilmung des „Dracula“-Stoffes.
Es war schon die zweite Schulaufführung des Tages gewesen. Die Achtjährigen zuvor waren brav sitzengeblieben, die ältere Klasse habe sich teilweise überhaupt nicht für den Film interessiert, erzählte der Kinomitarbeiter, der beide Vorführungen mit einer Einführung versehen hatte. Ständig seien welche raus- und reingelaufen. In der anschließenden Diskussion bat er die Gruppe um ehrliche Statements, und die Hauptkritikpunkte lauteten allen Ernstes, die Musik (der sinfonische Soundtrack von 1921) sei zu laut gewesen und der Film insgesamt zu schnell erzählt – und daher zu verwirrend. Aus dem Munde einer Generation, die mit Techno-Parties und den rasantesten Filmschnitten der bisherigen Mediengeschichte bestens zurechtkommt, kann es sich – ich bitte um Verzeihung! – bei diesen Einwänden nur um blödsinnige Ausflüchte handeln. Der Film hat den jungen Leuten nicht gefallen – das ist legitim –, aber was daran nicht genehm war, interessiert offensichtlich niemanden (mehr). Ich argwöhne, die Achtjährigen sind nur deshalb sitzengeblieben, weil die erziehungsbedingten Verhaltensmuster es ihnen noch (!) untersagen.
Zugegeben: ich halte nicht viel vom offiziellen Kanon. Und wenn es schon eine Säule des deutschen Expressionismus sein muss, mit der man der Jugend zuleibe rückt, dann lieber „Dr. Caligari“. Lieber hätte die Kunstform des Stummfilms mit „The Circus“ von Chaplin präsentiert – oder meinetwegen mit dem kürzeren und noch intensiveren „The Kid“, ebenfalls von 1921.
Am eigentlichen Problem hätte das allerdings nichts geändert: die Zeit ist um! _______________
* Leider ist nicht angegeben, ob dieses Zitat aus der Stummfilmzeit stammt. Es klingt nach einer schlechten Übersetzung, und das verweist eher auf Langs Jahre in Hollywood, die sich vollständig im Tonfilmzeitalter abspielten.
Ich bitte um Nachsicht für den Widerspruch, aber das Fritz Lang-Zitat (möchten Sie ihm ein „r“ spendieren?) stammt aus dem „Kulturfilmbuch“ von Dr. Edgar Beyfuss und Ing. Alexander Kossowsky aus dem Jahr 1924. Also eher gedrechselt geschrieben als minder übersetzt.
(Ich kann hier keine Links hineinkopieren, eine Suche bei Google Books nach „Ernsthaftigkeit nicht in Langeweile übersetzt“ liefert den Beweis.)
Haben Sie vielen Dank!