betr.: 41. Todestag von Luis Buñuel
Mexiko, 1946-1961
Ich fühlte mich von Lateinamerika früher so wenig angezogen, dass ich zu meinen Freunden oft gesagt habe: „Sollte ich mal verschwinden, dann sucht mich überall, nur da nicht.“ Und nun wohne ich seit sechsunddreißig Jahren in Mexiko. Ich bin 1949 sogar mexikanischer Staatsbürger geworden. Viele Spanier, darunter einige meiner besten Freunde, wählten nach Beendigung des Bürgerkrieges Mexiko als Land ihres Exils. Diese Spanier kamen aus allen sozialen Schichten. Unter ihnen waren Arbeiter, aber auch Schriftsteller und Wissenschaftler, die sich ohne allzu große Mühe in ihrem neuen Land zurechtfanden.
Als Óscar Dancigers mir anbot, in Mexiko einen Film zu drehen, sollte ich gerade meine second papers für die Vereinigten Staaten bekommen und amerikanischer Staatsbürger werden. Da traf ich Fernando Benítez, den großen mexikanischen Ethnologen, und der fragte mich, ob ich nicht in Mexiko bleiben möchte. Als ich ja sagte, schickte er mich zu Héctor Pérez Martínez, einem Minister, der sicher eines Tages Präsident geworden wäre, wenn der Tod es nicht anders bestimmt hätte. Er empfing mich schon am nächsten Tag und versicherte mir, es werde keine Schwierigkeiten bereiten, ein Visum für meine ganze Familie zu bekommen. Ich traf mich wieder mit Óscar, gab ihm meine Zusage und fuhr nach Los Angeles, um meine Frau und meine beiden Söhne zu holen.
Von 1946 bis 1964, von „Gran Casino“ bis „Simon in der Wüste“, habe ich in Mexiko zwanzig Filme gedreht – von zweiunddreißig im Ganzen. Mit Ausnahme von „Robinsón Crusoe“ und „The Young One“, über die ich schon gesprochen habe, wurden alle diese Filme in spanischer Sprache und mit mexikanischen Schauspielern und Technikern gedreht. Die Drehzeit variierte – „Robinsón Crusoe“ wiederum ausgenommen – zwischen achtzehn und vierundzwanzig Tagen, was außerordentlich kurz ist, die Mittel waren beschränkt und die Gagen mehr als bescheiden. Zweimal habe ich drei Filme in einem Jahr gemacht.
Ich musste von meiner Arbeit leben und eine Familie ernähren; so habe ich Filme von sehr unterschiedlicher Qualität gedreht. Es kam vor, dass ich Sujets akzeptierte, die ich mir nicht selbst ausgesucht hatte, und dass ich mit Schauspielern arbeitete, die für ihre Rollen nicht unbedingt geeignet waren. Dennoch habe ich meines Wissens nicht eine Szene gedreht, die nicht mit meiner Überzeugung oder meiner persönlichen Moral vereinbar gewesen wäre. In diesen Filmen, so ungleich sie sind, ist nichts, dessen ich mich schämen müsste. Ich möchte auch erwähnen, dass meine Beziehungen zu den mexikanischen Technikern meist ausgezeichnet waren.
Aus Luis Buñuels Autobiographie „Mein letzter Seufzer“