betr.: TV-Kritik „Inside The Simpsons“
Wie schwer es ist, einen Idioten zu zeichnen – auch davon handelt „Inside The Simpsons“.
Seit vielen Jahren verfolge ich die „Simpsons“ nur noch, wenn mir mal ein Halloween-Special unterkommt (was hierzulande nicht nach dem Kalender geschieht und daher Glücksache ist). Dennoch fühle ich mich dieser Trickserie nach wie vor sehr verbunden. Ich gedenke der großen Satire- und Comedy-Momente ihrer frühen Jahre, die für mich persönlich Klassiker-Status haben wie Chaplins „Brötchentanz“ oder Fred Astaires Stepptanz unter der Zimmerdecke. Ganz besonders bewundere ich die Serie für ihre musikalische Kompetenz, die stets sehr beiläufig daherkommt und jahrzehntelang in den Händen von Alf Clausen lag.
Entsprechend freudig greife ich zu den einschlägigen Begleitmedien, etwa dem Ausstellungskatalog „Gelber wird’s nicht“ von Alexander Braun oder eben der sechsteiligen TV-Doku von Brian Volk-Weiss.
Die „Inside“-Reihe ist großen Phänomenen der Popkultur gewidmet und wird hierzulande donnerstags auf ProSiebenMAXX sowie vom Streaming-Anbieter Joyn präsentiert. Seit 8 Staffeln erfreut sie durch die reichhaltige Materiallage und gute Kenntnisse, legt aber ein irres Tempo vor. In letzter Zeit hat der Informationsgehalt etwas nachgelassen – bei gleicher Geschwindigkeit – und die allgemeine Schnellsprecherei wird immer häufiger mit kleinen Witzchen ausgefüllt. Die deutsche Fassung hätte hier etwas Druck rausnehmen können, doch das wird leider unterlassen. Off-Sprecherin Anke Engelke (als amtierende deutsche Stimme von Marge Simpson der Reihe besonders verbunden) strengt sich und uns mit einer Performance an, die nahe an einer Trickstimme angesiedelt ist. Auf der Bildebene wiederholen sich unterdessen impertinent die wenigen Fotos, die es jeweils von den beteiligten Medienschaffenden zu sehen gibt (was angesichts der Tatsache, dass es sich um zeitgenössische Personen öffentlichen Interesses handelt, reichlich abstrus wirkt).
In Kulturdokus wird gerne so getan, als fielen gute Bücher vom Himmel. Hier wird der Arbeit der Autoren ungewöhnlicherweise der angemessene Raum gegeben.
Ungeachtet all dieser Abstriche, ist die Reihe „Inside The Simpsons“ ihre Zeit wert, zumal sie sich zu Beginn die Mühe macht, uns daran zu erinnern, wie es zu Beginn dieser Erfolgsgeschichte auf dem US-Fernsehmarkt zugegangen ist. So weist sie über ihr eigentliches Thema hinaus und verrät uns viel über das dieses umgebende kulturelle und gesellschaftliche Umfeld.
Meine Zuneigung und lange Beschäftigung mit der Materie lässt mich aber auch über die merkwürdigen Auslassungen stolpern. Über die Musik erfahren wir so gut wie nichts – außer, dass der gefürchtete Fox-Chef Barry Diller in einem Nebensatz das Engagement eines Orchesters verfügte. Und natürlich wird obligatorisch auf Danny Elfman hingewiesen, den prominenten Schöpfer der Titelmusik. Die Halloween-Binnenserie „Treehouse Of Horror“, die sich als eigenes Genre der Gegenwartskultur etabliert hat, bleibt praktisch unerwähnt, bis es zum Ende hin zur obligatorischen Frage an alle Anwesenden nach der persönlichen Lieblingsfolge kommt. Und auch die zahllosen VIPs aus Sport, Politik und Kunst, die sich in all der Zeit darum gerissen haben, sich mit eigener Sprech- uns Singstimme innerhalb der Serie auf die Schippe nehmen zu lassen, werden erst in diesem Zusammenhang wie ein Schmankerl erwähnt. Seltsam ominös bleibt die Rolle des Simpsons-Erfinders Matt Groening im aktiven Produktionsablauf – besonders angesichts der Tatsache, dass er die Familie und ihre Vornamen auf dem Weg zum Pitch eigentlich nur improvisiert hat und die Erschaffung des Simpsons-Kosmos (einschließlich der gelben Gesichtsfarbe) im Laufe der Doku unter den übrigen Kreativen aufgeteilt wird.
Andererseits hätte ich gerne auf die vielen oft wiederholten Tratschereien in den Statements verzichtet, die etwas selbstgefällig im Habitus von Running Gags ausgeteilt werden.
Einer davon bezieht sich auf den glücklosen Regisseur einer Folge der ersten Staffel: Kent Butterworth (es geht um einen kackenden Pferdehintern …). Die wenigen kurzen Bilder, die wir von seinem Entwurf zu sehen bekommen (während von ihm selbst kein Foto präsentiert wird), haben mich richtig neugierig auf seine abgelehnte Arbeit gemacht.
Inside The Simpsons
Doku-Reihe USA 2022, je 41 Minuten
Regie: Brian Volk-Weiss
1. Wie alles begann
In den 80er Jahren ist der Fernsehmarkt in den USA hart umkämpft. NBC, ABC und CBS sind die großen TV-Networks. Doch auch der neue Sender Fox, ein Ableger des alten Filmstudios, will sich behaupten. Zusammen mit James L. Brooks, Sam Simon und dem Underground-Zeichner Matt Groening erschafft Fox eine Reihe von kurzen Clips für die „Tracey Ullman Show“, die dem Publikum dabei helfen sollen zu erkennen, wann ein Sketch endet und der nächste beginnt.
2. Die Pilot-Folge
Die Clips innerhalb der „Tracey Ullman Show“ sind bald so beliebt, dass sich Fox entscheidet, die Simpsons als eigene Serie zu produzieren. Ein Zeichentrickformat zur besten Sendezeit bricht mit mehreren Konventionen, zumal große Konkurrenz wie die „Bill Cosby Show“ ausgestochen werden muss. Das Team arbeitet unter Hochdruck, doch der geplante Ausstrahlungstermin kann nicht gehalten werden. Zum Glück ist passend zum Kalender eine Weihnachts-Folge fertig, die als Teaser für das nächste Frühjahr dienen kann.
3. Im Writer’s Room
Die erste Staffel der Simpsons wird so erfolgreich, dass die Serie sofort verlängert wird. Ein Großteil des Verdienstes fällt den Autoren zu, die bei ihren einfallsreichen Skripten kontinuierlich am Puls der Zeit arbeiten. Während sich das Autorenteam bestens versteht, kommt es zwischen den drei Schöpfern der Serie zu Spannungen.
4. Kampf der Studios
Zu Beginn der Serie hatte die Firma Klasky Csupo die Animation besorgt. Doch das kleine winzige, unkonventionelle Studio gerät mehr und mehr an seine Grenzen, da der Sender immer aufwändigere Spektakel einfordert, die das idyllische Konzept der Familie in einer Kleinstadt aufbrechen. Innerhalb des Teams kommt es zu Differenzen, die die Zusammenarbeit mit Fox gefährden könnten. Das Studio wird ausgetauscht, das Gründungsteam zerrissen.
5. Vom Fernsehen ins Kino
Im Laufe der Jahre gibt es weitere Wechsel im Team rund um die Simpsons. Dadurch entwickelt sich die Serie stetig weiter, doch jeder einzelne Showrunner hat auch eine eigene Vision. Als Bill Oakley und Josh Weinstein das Projekt übernehmen, besinnen sie sich auf das Erfolgsrezept der Anfangsjahre zurück und schaffen es dadurch, die Serie noch größer zu machen.
6. Das Vermächtnis
Dreieinhalb Jahrzehnte lang haben die Simpsons massiven Einfluss auf die Popkultur der ganzen Welt. Über diesen Zeitraum hinweg mussten die Serie und ihre Entwickler zahlreiche Herausforderungen meistern, auch die allerschlimmste: sinkende Zuschauerzahlen. Doch der erzkonservative Sender Fox verdankt seinen Aufstieg ausgerechnet diesem aufmüpfigen Format – das ist die makabere Ironie – und lässt es weiter und weiterlaufen. Allerdings werden die Honorare gekürzt.