Blackout? Am liebsten vom Blatt …

betr.: Sprechen am Mikrofon / Lesen vom Blatt

So verwandt die Berufe des Sprechers am Mikrofon und des Schauspielers sind, sind es auch die Fehler und Unfälle, die da und dort passieren können. Der Umgang damit ist allerdings grundverschieden. Vor Publikum müssen Texthänger oder Versprecher überspielt werden (ggf. im Ensemble), während man im Studio sofort abbrechen sollte, wenn man einen Fehler bemerkt bzw. kommen fühlt oder darauf hingewiesen wird. Die betreffende Stelle der Darbietung ist nicht mehr zu retten. Sie wird wiederholt und schließlich in der Nachbearbeitung ungeschehen gemacht.

Die nächstschlimmere Panne, die auf der Bühne passieren kann, ist dann auch gleich die größtmögliche, die dem Einzelnen technisch-künstlerisch überhaupt passieren kann, sie ist Gegenstand von Albträumen und Traumata: das Blackout. Der Texthänger, der sich zu einer völligen Lähmung des Hirns ausdehnen kann. Wie man immer wieder hört (und in dem Musical „Mame“ auch gezeigt bekommt), sind die armen Opfer dieser Unpässlichkeit so vollständig in  ihr gefangen, dass ihnen nicht einmal mehr die Souffleuse helfen kann: auch das Gehör fällt dann aus.
Das Text-Blackout ist am Mikrofon schon deshalb unmöglich, weil ja der gesamte Vortrag vom Blatt geschieht. Doch auch hier können sich Dinge zutragen, die den Produktionstag zum erliegen bringen. Eine Kollegin, an die ich mich erinnere, betonte zum Beispiel das Wort „Alkohol“ auf der letzten Silbe. Als man sie darauf hinwies, es müsse stattdessen die erste sein, konnte sie das nicht ändern, und auch das unermüdliche Vormachen der richtigen Aussprache durch Regisseur und Tonmeister half nicht. Der Tag endete ohne eine brauchbare Aufnahme des Wortes „Alkohol“. Versprecher erschüttern in beiden Sphären das Selbstbewusstsein und die Souveränität. Man merkt das zum Beispiel daran, dass es in den Nachrichten im Radio selten nur einen einzelnen Versprecher gibt. Wenn ein Ausrutscher geschieht, folgt in der Regel noch mindestens ein weiterer, weil die Routine des fließenden Vortrags sich erst wieder fangen muss.
Den vor Publikum künstlerisch arbeitenden Darsteller trifft das wesentlich härter. Dort erschüttert ein Versprecher nicht nur die Routine, er untergräbt die Selbstsicherheit. „Es ist als würde man aus dem Nichts eine Ohrfeige bekommen“ (Joachim Meyerhoff). Die niedrigeren unterschiedlichen Schweregrade gibt es am Mikrofon wie auf der Bühne: den Verhaspler und den sinnentstellenden Wort-Dreher. Der „das Stück komplett vor die Wand fahrende Katastrophen-versprecher“ allerdings ist ein „Martyrium wie es nur wenige Berufe zu bereiten vermögen“. Die Tätigkeit des Sprechers sollte nicht dazugehören.

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Eine Antwort zu Blackout? Am liebsten vom Blatt …

  1. Christian Görgen sagt:

    Hier haben Sie meine Erwartungen auf das äußerste unterlaufen. Ich hatte auf mindestens die Top Ten Versprecher/innen- Katastrofen spekuliert. Zum Ausgleich drei fiese Lapsus calami.

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