betr.: Sprechen am Mikrofon / Lesen vom Blatt
Beim fließenden Lesen vom Blatt ist es unerlässlich, den voraussichtlichen Satzverlauf zu erahnen. Dabei hilft die lange Leseerfahrung, die uns früher oder später mit jeder Satzkonstruktion mehrmals konfrontiert hat.
Unsere Alltags-Sprachkultur hält schlechte Gewohnheiten bereit, die von dieser Technik wegführen. Sie öffnet Hintertürchen, zu einem bequemeren Umgang mit der Sprache. Die RIAS-Sendereihe „Deutsch für Deutsche“, die sich mit gebräuchlichen Sprachtorheiten beschäftigte, beschrieb eine dieser „Abkürzungen“:
„Die Sendung zu Wilhelm Buschs 150. Geburtstag war gut vom Manuskript her, aber weniger gut in der Ausführung.“
Selbst wenn man vervollständigt, was gemeint ist („vom Manuskript her gesehen“), ist nicht einzusehen, warum der Schreiber der Fernsehkritik „vom Manuskript her“ sieht, soll er doch lieber gleich sagen: „Das Manuskript war gut. Die Sendung entsprach nicht der Qualität des Manuskriptes.“
Für Leute, die Schwierigkeiten mit der Satzbildung haben, ist dies „von … her“ eine immer willkommene Lösung aus der Verlegenheit.
Theaterbesucher sagen in der Pause:
„Also, vom Stück her ist es ja gut.“
„Auch von der Regie her finde ich es doch interessant!“
Die Fähigkeit, den Bau eines Satzes gleich zu Anfang zu überblicken und ihn richtig zu lenken, scheint verloren gegangen zu sein. Man konzentriert sich auf den Satzgegenstand, schleudert ihn heraus in der 1. Person Singular, und nun hängt man, was man über den Gegenstand – das Stück – sagen wollte, einfach dran und zwingt die Satzaussage mit Hilfe von Füllwörtern und Präpositionen, mit Mantel und Schleppe in den gewünschten Sinn.
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* In der Folge „Auf dem Buttersektor zögerlich?“ vom 12. Juni 1982 von Annemarie Weber.