betr.: (Einstweilen) letzte Folge des Podcasts „Das war morgen“ in der ARD-Audiothek

99 Science-Fiction-Hörspiele aus den Jahren 1968 bis 1992 (sind es tatsächlich schon so viele gewesen?) haben Isabella Hermann und Eiki Mira in ihrem SWR-Podcast „Das war morgen“ in den letzten Jahren Woche für Woche vorgestellt, zu Beginn war Andreas Brandhorst noch mit dabei. Der Informationswert der begleitenden Gespräche wird vielleicht am trefflichsten dadurch beschrieben, dass der Kollege Bastian Pastewka – Betreuer des ARD-übergreifenden Krimi-Podcasts „Kein Mucks!“ – kürzlich in seiner internem Werbebotschaft meinte, in diesem Podcast würden sehr viel mehr Informationen vermittelt als im seinigen – das kann nur Sarkasmus gewesen sein.
Nichtsdestotrotz war „Das war morgen“ aus mehreren Gründen eine zutiefst erfreuliche Einrichtung! Das Füllhorn der alten Radiospiele, die seit Urzeiten (von sehr gelegentlichen Wiederholungen im linearen Programm abgesehen) unhörbar im Schrank lagen, wurde großzügig ausgeschüttet. Endlich! Damit kam und kommt sein Inhalt denjenigen zugute, die das alles ohnehin bezahlt haben: uns Gebührenzahlern. Da es sich ausschließlich um Beiträge der SDR-Sendereihen „Science-Fiction als Radiospiel“ und „Phantastik aus Studio 13“ gehandelt hat, allesamt inszeniert von Andreas Weber-Schäfer, hat sich bisher nicht die ganze Vielfalt dieser empfindlichen Kunstgattung entblättern können. Doch irgendwo muss man ja schließlich anfangen, und der Weltraum ist groß. Weiterhin ist die zuverlässige Präsentation so vieler Nicht-Krimis auf einem Hörspielplatz schlechthin sehr erfrischend.
In der vorletzten Folge von „Das war morgen“ am 23.4. gab es unter der tarnfarbenen Überschrift „Hinter den Kulissen“ eine Sonderfolge, in deren Verlauf sich die betreuende Redakteurin Mareike Maage mit zwei treuen Helfern des Projekts unterhielt: mit H. G. Tröster (Autor des leider vergriffenen Quellenwerks „Science Fiction im Hörspiel 1947-1987“) und dem Feuilletonisten und S-F-Autor Dietmar Dath. Ihr Gespräch ist kein simples Making-Of, es gräbt ganz allgemein in der Radiokunst und Radiogeschichte, in der Popkultur und in der Liebe zur phantastischen Literatur. Ihr Gespräch hat einen Informations- und Unterhaltungswert, der weit über den eigentlichen Podcast hinausgeht – ähnlich wie Pastewkas Sonderfolge „Kein Mucks in Concert“*. Für mich als Liebhaber des Features und des Feuilletons ist sie sogar ganz großes Kino. Als etwa Dietmar Dath von den Reaktionen auf sein Buch „Niegeschichte“ erzählt, fühle ich mich an die Missverständnisse erinnert, mit der ein größeres Publikum auf Syd Fields „Handbuch zum Drehbuch“ reagiert hat: es geht eben nicht um Vorschriften oder eine Gebrauchsanweisung (der ST. GEORGE HERALD berichtete).
Vieles, was hier besprochen wird, ist ein allgemeingültiger Kommentar zu den Schönen Künsten und der Medienwelt an sich. Die wichtigsten schreibenden Zulieferer der alten SDR-Hörspielserien werden gewürdigt: Herbert W. Franke, Hermann Ebeling und Eva Maria Mudrich**. Es geht um das Handwerk von Hörspielbearbeitung und -besetzung. Auch die große Tücke des Themas wird nicht ausgelassen: es ist auch hier nicht alles gleich viel wert. Zwar ist ein gutes phantastisches Hörspiel ein besonderer Hochgenuss, eine „Feuerlilie auf dem Feld des Trivialen“ (Tröster). Aber es ist auf diesem Feld auch besonders schwer, richtig gut zu sein. Was im phantastischen Radiostück danebengeht, geht mit Karacho daneben; was auch nur ein klein wenig verunglückt, wird sehr schnell atemberaubend doof.
Wer wie ich in zwei Jahren keines der 99 Hörspiele ausgelassen hat, kann die Anekdote nachvollziehen, die H. G. Tröster im Podcast erzählt: lange vor dem Computerzeitalter gab es in den Rundfunkanstalten über die eigenen Produktionen und Bestände nur protokollierende vermerke und – im Glücksfalle – persönliche Notizen. „Beim Deutschlandfunk hatte der damalige Redakteur Dieter Hasselblatt – ein gnadenlos großartiger Impresario der Science-Fiction und des Science-Fiction-Hörspiels – ein riesiges Archiv angelegt, in dem er über alle von ihm je abgehörten Hörspiele eine Karteikarte angelegt hat. Mit sehr tiefsinnigen Betrachtungen, die manchmal aber auch mit den Worten endeten: war mir zu blöd, hab’s abgebrochen.“
Inzwischen haben Mira und Hermann mit ihrer Bilanz „Zwischen gestern und heute“ den Podcast abgeschlossen, doch Frau Maage hat bereits angedeutet, dass er mit dem redaktionsübergreifenden Prinzip von „Kein Mucks!“ in Kürze wiederauferstehen wird, also sämtliche ARD-Archive nutzend.
Das sind herrliche Aussichten! Mit ihnen verbinde ich nur eine Hoffnung.
Die seherischen Qualitäten von guter Science-Fiction dürften inzwischen unbestritten sein. Bei der Auswahl der in „Das war morgen“ präsentierten Stücke hat man sich vielleicht allzusehr auf Beiträge kapriziert, die heute Drängendes wie KI, Klimawandel, Demokratieschwund und Selbstausrottung der Menschheit (namentlich) im Munde führten. Das konnte schonmal den Nachgeschmack der Belehrung hervorrufen – vor allem dann, wenn es in den anschließenden Gesprächen noch einmal deutlich unterstrichen wurde.
Dennoch hoffe ich, die anbrechende Wartezeit möge kürzer ausfallen als die letzte „Sommerpause“ bei „Kein Mucks!“: die dauerte kosmische 5 Monate.
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* Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2024/01/03/24336/
** Siehe https://blog.montyarnold.com/2024/02/24/schuldfrage-eva-maria-mudrich/