In der Reihenfolge ihres Auftretens (1/3) – Die große Käse-Verschwörung

betr.: Blacky Fuchsberger / Rudi Carrell / „Am laufenden Band“ / „Fernsehkult“

Wer ungefähr in meinem Alter ist, dem wird es beim Abschied von Joachim Fuchsberger ähnlich gehen – ein skurriles Fantasieland taucht wieder vor dem geistigen Auge auf, in dem man pro Tag maximal fünf Stunden fernsehen konnte, und der Inhalt dieses kostbaren Zeitfensters wirkte sich intensiv auf das (junge) Leben aus. Mitte der 70er Jahre wechselte ich von der Grundschule aufs Gymnasium, und das befand sich in einem wenige Kilometer entfernten Kleinstädtchen. Auf dem selben Gelände lag noch eine Realschule, und auf dem Weg dorthin – im direkten Nachbardorf – eine Hauptschule. So begab es sich, dass sämtliche Kinder, die sich bereits aus der Grundschule kannten, nun allmorgendlich im selben Schulbus beieinander saßen. Der Sohn unseres örtlichen Friseurs war ein hübscher blonder Bub namens Thomas, der sich für ungemein aufgeweckt hielt. Er verzichtete stets darauf, einen Sitzplatz einzunehmen, denn er fühlte sich gewissermaßen als Reiseführer, der zu ahnungslosen Touristen spricht. Natürlich hatte er kein Mikrofon – er spazierte den Gang auf und ab und suchte sein Publikum persönlich auf. Und natürlich sprach er nicht über die Schönheit der Landschaft – er redete über das Fernsehprogramm vom vorigen Abend. Wie man sich erinnert, waren das die trauten Zeiten, als es nur 2,5 Fernsehprogramme gab, und mit ziemlicher Sicherheit hatten alle Mitreisenden das gleiche Programm gesehen wie Thomas: den Louis-de-Funès-Film (nicht die Volksmusik-Gala im „ersten Programm“), den „Don Camillo“ (nicht den Kulenkampff), „Auf los geht’s los“ mit Blacky Fuchsberger (was denn sonst?). Der Bus rollte, und es gab kein Entkommen – Thomas hatte freie Bahn, das alles trotzdem noch einmal nachzuerzählen.

An diesen Morgenden lerne ich viel über die Dinge und das Leben und die Psychologie des Pöbels. Zunächst einmal erstaunte mich der stoische Gleichmut, mit dem die versammelten Schulkinder die sinnlosen Auslegungen dieser kleinen Nervensäge ertrugen. Vielleicht waren einige von ihnen einfach noch zu müde, um sich darüber aufzuregen. Ich, der ich selbst das aufkeimende Bedürfnis verspürte, mich zu produzieren, schwor mir, einen Beruf zu ergreifen, in dem ich dieses abreagieren konnte, ohne meinem privaten Umfeld zur Last zu fallen. Und ich begriff, dass das, was auf der Mattscheibe so leicht aussieht, ziemlich schwer sein muß. Sein Versprechen, später selbst Showmaster zu werden, hat Thomas erwartungsgemäß nicht gehalten.

In meiner Erinnerung hat kein Mann so häufig die Vorlage für diese Bus-Monologe abgegeben wie Rudi Carrell. Das kann schon rein rechnerisch nicht stimmen, denn seine Shows liefen etwa sechsmal im Jahr. Sie müssen mich und meine Mitschüler also auch in der Großen Pause noch weiter beschäftigt haben. Wir alle wollten z.B. „Goethe war gut“ auswendig können, den Schlager, der in der Show mit dem Thema „Bauernhof“ vorgestellt worden war und der nun die Hitparaden stürmte. Da die meisten von uns nicht mal einen Radiorecorder zur Verfügung hatten (der Videorecorder hatte sich längst noch nicht durchgesetzt), half nur: immer wieder aufpassen wenn das Lied im Radio lief.

Carrells Beliebtheit kann man sich in unserer abgeklärten Epoche schlichtweg nicht mehr vorstellen. Er übertraf sogar Hansjörg Felmy als „Kommissar Haferkamp“ im „Tatort“. „Wetten dass..?“ wurde zum Ende hin immer wieder als letztes Glimmen der viel beschworenen Lagerfeuerromantik bezeichnet, die einst von großen TV-Shows ausging, aber „Am laufenden Band“ war etwas völlig anderes. Es wurde nämlich nicht nur von Omis und ihren Enkelchen angeschaut, sondern auch von allen zwischen jung und alt. Wer es nicht mochte, sah es sich an, um sich „fertig zu ärgern“.

Am Silvesterabend 1979 lief die 51. und letzte Folge. Der populäre Hinweis, dass man aufhören soll, wenn’s am Schönsten ist (und das war es tatsächlich!), war nicht mal ein schwacher Trost. Es dauerte etwas, bis der Meister zurückkehrte: „Rudis Tagesshow“ – so nannte Carrell die Sendung selbst in seinen Moderationen, in der Fernsehzeitung stand stets „Rudis Tagesschau“ – startete prächtig. Der früh verstorbene und heute mythisch verehrte Diether Krebs wurde von Rudi Carrell mit Beatrice Richter zu einem wirklich komischen Paar zuammengefügt. Der Vierte im Bunde war ein verdienter Kabarettist, Schauspieler und Synchronsprecher: Klaus Havenstein – u.a. der „King Louie“ im „Dschungelbuch“. Carrell hatte ihn häufig in „Am laufenden Band“ als Gast begrüßt und wußte, was er an ihm hatte. (Im Gegensatz zu Diether Krebs geriet Havenstein leider nach seinem Tode augenblicklich in Vergessenheit.) Carrell hatte also eine fabelhafte Mannschaft und ein damals hierzulande frisches Konzept: die Kombination von politischen O-Tönen mit erfundenen Wahrheiten und soliden Sketchen. Nach einer Weile zerfiel die ursprüngliche Truppe – Krebs und Richter bekamen eine eigene Sendung: „Sketchup“. Als Frau Richter bald darauf betrüblicherweise ausstieg, wurde Iris Berben Krebs‘ neue Partnerin und damit gleichzeitig (und „über Nacht“) zur Komikerin ernannt und in der Folge zu einer der gefragtesten Schauspielerinnen der Republik.

In die späteren Jahre der „Tagesshow“ fällt Rudi Carrells qualitativer Niedergang. Seine Auftritte in den Talkshows berühmter Kollegen (Fuchsberger, Biolek …) zeigten einen zunehmend angeödeten Zyniker, dem der pausenlose Erfolg nur noch auf die Nerven ging. Der sportlichen Verbissenheit, mit der er früher um das Gelingen jeder Pointe, jeder Aktion, jeder Idee gekämpft hatte, war in der abgeklärten Epoche des Privatfernsehens der Boden entzogen. Die Mühsal der saturierten Lebensmitte mag das Ihrige dazu getan haben – es gab irgendwann nichts mehr, was er noch hätte erreichen können. In seiner Nachrichtenshow „glänzten“ inzwischen Namen wie Uwe Ochsenknecht (der ist so mancherlei, aber gewiß kein Slapstick-Talent) und der Berufspolitiker Norbert Blüm. Das wurde alles weiterhin gerne eingeschaltet – es gehörte ja nach wie vor nicht zum Schlechtesten, was man auf dem Bildschirm zu sehen bekam – aber der alte Schwung war futsch. Aufhören kam für Rudi natürlich nicht in Frage. Es folgten Banalitäten „Herzblatt“ oder „Sieben Tage – Sieben Köpfe“, eine umjubelte und preisgekrönte Kappensitzung, in der sich Rudi Carrell von Kalle Pohl was auf dem Kamm vorblasen lassen mußte – ich wandte mich nur noch mit Grausen. Auch meine alte Sympathie für Mike Krüger und meine beständige Verehrung des brillanten Jochen Busse haben mich diese verkrampfte Recyclingmaßnahme abgelesener Fundus-Witze nie länger als 180 Sekunden ertragen lassen.

Nun liegt der Verdacht nahe, ich könnte Rudi Carrells frühere Arbeiten nur bevorzugen, weil ich seinerzeit so kindlich naiv und aufgeschlossen war. Das hat sich beim (mehrmaligen) Wiedersehen der Reihen „Die Rudi Carrell Show“ und „Am laufenden Band“ als unbegründet erwiesen. Ich bin bis heute vom hier aufgebotenen Entertainment-Handwerk zutiefst beeindruckt. Welches Berufsethos dem Moderator im Auge flackt, wie hündisch er leidet, wenn mal was daneben geht, habe ich als Halbwüchsiger noch gar nicht begriffen – später fiel es mir umso mehr auf. Doch das tat dem Amüsement nie einen Abbruch. Auch bei den Talks und Spielen mit den Kandidaten hatte ich nie das Bedürfnis, vorzuspulen. Einzig die „internationalen Show Acts“ sind heute fast alle zum Händefalten langweilig: der Säufer, der „One For My Baby“ mit Schlabberbacke singt, der zaubernde Hausmeister, eine Unzahl von „lustigen Dicken“ und jonglierenden Bauchrednern – pupsig, dröge, abgestanden, Schwamm drüber! Zu den rühmlichen Ausnahmen gehört natürlich Dirch Passer, der durchgeknallte Däne, der versucht, sich das Rauchen abzugewöhnen.

Über den tyrannischen Carrell, der seine Mannschaft behandelte wie der Quartiermeister auf einem Thunfischboot, der gierig, bestechlich und keiner Schleichwerbung abhold war, der keine Gelegenheit ausließ, seine meist jüngeren Kollegen öffentlich abzukanzeln, ist schon zu seinen Lebzeiten viel verlautet. Die entzauberte Moderne erlaubt es uns glücklicherweise, Künstler auch dann zu verehren, wenn sie nicht auf einem Sockel stehen. Jochen Busse hat in einer der zahllosen Carrell-Gedenk-Collagen etwas besonders Wichtiges über ihn gesagt, was sich beim Betrachten der zahllosen Wiederholungen von „Rudis Sketchen mit Prominenten“ jederzeit bestätigt: „Rudi war im Zusammenspiel – wie ganz wenige Komiker – überhaupt nicht eifersüchtig, nicht kompetitiv, nicht egoman. Gehörte die Schlußpointe dem Partner, tat er alles dafür, dass der damit Erfolg hatte.“

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