Die Marvels wie sie wirklich waren: Thor (2/2)

Diese Serie mit Artikeln zur Geschichte der Marvel Comics aus dem Silver Age ist eine Übernahme aus dem Fanmagazin „Das sagte Nuff“ (2005-10). Ich bedanke mich herzlich für die Genehmigung, sie hier wiederzugeben. Das Cover von Jack Kirby wurde von Daniel Gramsch coloriert.

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Der mächtige Thor (Fortsetzung vom 20.2.2019)
von Daniel Wamsler
http://dassagtenuff.blogspot.com/

Ein neuer Anfang

Ab Januar 1974 setzte der Williams Verlag mit seinem Marvel-Programm neue Maßstäbe. Neben sechs weiteren Titeln war auch Thor vom Start weg mit dabei. Alle Thor-Storys erschienen ungekürzt und weitestgehend in der richtigen Reihenfolge. 1968 hatte Marvel USA Thors Origin aus „Journey Into Mystery“ # 83 erneut verbraten und Dr. Don Blake in Thor # 158 auf sieben zusätzlichen Seiten von seiner „Geburt“ erzählen lassen. Dadurch waren die Originalfilme, deren Layout man zumindest auf der ehemaligen Eröffnungsseite verändert hatte, vermutlich nicht mehr aufzutreiben. Das Ende der neuen Geschichte stellte die Frage nach der „Antwort“, die in „Thor“ # 159 erfolgen sollte. So endet auch Williams‘ „Thor“ Nr. 1 mit den Worten: „Demnächst: Die Antwort!“. Dieses „demnächst“ sollte für den deutschen Leser allerdings ganze sechs Jahre dauern, bis der Condor Verlag mit „Marvel Comic Sonderheft“ Nr. 1 die Antwort aus „Thor“ # 159 zusammen mit einem erneuten Abdruck von „Thor“ # 158 nachreichte.

Doch zurück ins Jahr 1974. Chronologisch korrekt lief die Serie bei Williams bis „Thor“ # 150, wo man nach den ersten 11 Seiten abbrechen musste, da „Die Spinne“ zu der Thor zwischenzeitlich gewechselt war mit Nr. 137 eingestellt wurde. Die „Tales Of Asgard“ liefen zwar ebenfalls in der fast richtigen Reihenfolge, doch anfangs querbeet durch alle Serien („Spinne“, „Thor“, „Hulk“), in denen gerade Platz war, und erst ab Nr. 28 fortwährend. Leider war mit „Thor“ Nr. 33 Schluss, Williams verzichtete auf die „Tales“ und konzentrierte sich auf die Hauptstorys, die mit „Thor Nr. 34“, wie es einmal in einem Querverweis der Folgeausgaben hieß, zu „Spider-Man“ (ab „Die Spinne“ Nr. 68) überwechselten. Viele der „Tales Of Asgard“ packte Condor später in die verschiedensten Publikationen und konnte so nicht nur Lücken in den eigenen Heften, sondern auch in der Chronologie schließen. Das „Journey Into Mystery Annual“ # 1 von 1965 erschien wie alle Annuals (mit Ausnahme von „Amazing Spider-Man“ Annual # 2 als „Dr. Strange“ Nr. 11) nicht bei Williams. In diesem Fall war das auch nicht weiter tragisch, da auf die entsprechende Episode im Gegensatz zum dritten Annual der „Fantastic Four“ (Susan Storm heiratet Reed Richards) aus demselben Jahr, im weiteren Verlauf der Serie kaum oder gar nicht Bezug genommen wurde. Auch das zweite „Jahressonderheft“, diesmal als „Thor“ Special # 2 erschien erst 1982 bei Condor („Die Spinne“ Taschenbuch Nr. 12).

Das fehlende Jahr

Der Condor Verlag hatte beim Start seiner Spinne-Heftserie 14 Ausgaben von „Amazing Spider-Man“ übersprungen, die zwischen Williams Nr. 137 und Condor Nr. 1 lagen. Trotz mehrfacher Ankündigung von Seiten der Redaktion wurde diese Lücke aber nie geschlossen. Der Chef des Hauses wollte davon einfach nichts wissen. Erst Marvel Deutschland/Panini räumte 1998 damit auf. Ging ja auch kaum anders, da deren aktuelle Geschichten in den neugestarteten „Spider-Man“-Heften mit der sogenannten Klon-Saga genau auf diesen in Deutschland unveröffentlichten Ausgaben basierten. Man machte sich die Mühe, das

Williams-Design nachzuahmen, verwendete ebenfalls Thor als Zweitstory und setzte mit Thor # 150 genau dort ein, wo Williams aufgehört hatte. Selbstverständlich erschienen die ersten 11 Seiten noch einmal, so dass sich auch Leser, welche die Williams-Ausgaben nicht oder nicht mehr hatten, zurechtfinden konnten. Auch ein erklärendes Vorwort nach dem Motto „Was bisher geschah…“ war hilfreich. Mit dem Abdruck der kompletten Ragnarök-Saga schloss man nach fast zwanzig Jahren unwissentlich die Lücke zwischen „Spinne“ Nr. 137 und „Thor“ Nr. 1. Als im darauffolgenden Jahr auch noch „Journey Into Mystery“  # 83 als Zusatzheft in einem der sogenannten „Get“- bzw. „Jubiläums-Packs“ erschien, war es endlich möglich, ganze 83 Thor-Abenteuer an einem Stück auf deutsch zu lesen. Leider hatten bsv und Condor nach „Hit Comics“ Nr. 206 und Marvel-Comic-Sonderheft Nr. 1 nur noch „ausgewählte“ Einzelepisoden veröffentlicht, so dass erneut große und kleine Lücken in der Chronologie entstanden. Nachdrucke älterer Thor-Geschichten erschienen in „Die Rächer“-Taschenbuch Nr. 1 (JIM # 83 und 85) und „Die Spinne“-Taschenbuch Nr. 19 (Thor # 142). Bemerkenswert ist, dass „Thor“ im Gegensatz zu den anderen Marvel-Serien bei keinem der deutschen Lizenz-Verlage, mit Ausnahme fehlender Panels („Hit Comics“ zwischen Nr. 7 und 59 und „Die Spinne“ Condor Nr. 7/8) die für die Einleitungstexte beim Einstieg in die Fortsetzung verwendet wurden, gekürzt erschien.

Political Correctness**

Ein Sonderfall in der Thor-History ist „Thor“ Nr. 5 aus dem Williams- Verlag (JIM # 87). In Zeiten des Kalten Krieges kämpften die US-Superhelden in den Comics immer noch gegen „böse“ Russen und Nazis. So auch Hulk, Thor, die Rächer und die Fantastischen Vier. Während bei den FV eine Episode mit Adolf Hitler als „Hate Monger“ einfach ausgelassen wurde (ähnliches geschah bei den Rächern), nahm man bei „Thor“ und „Hulk“ der 5. Williams-Marvelproduktion (Mai 1974) Retuschen vor. Auch bei den FV wurden einen Monat später Hammer und Sichel auf dem Raumschiff des Red Ghost  entfernt, die Eingriffe bei „Hulk“ und „Thor“ waren jedoch von weitaus größerem Umfang.

Thor-Russenzensur

Die UdSSR wurde zum „Lande der Zetas“ und alle möglichen typischen Erkennungsmerkmale eliminiert oder umgestaltet. Die Dächer des Kreml wurden neu gedeckt, Bärte wurden hinzugezeichnet oder gestutzt, die Soldatenuniformen erhielten ein neues Design und ihren Trägern verpasste man schwarze Baskenmützen der Marke Edding. All dies tat der Story aber keinen Abbruch. Im Gegenteil, ohne realen Bezug funktionierte sie 12 Jahre später sogar besser. Der veränderte Aufbau erinnert etwas an Hergés „Tim und Struppi“, die ihre Abenteuer jeweils in einem Fantasie-Teil eines tatsächlich existierenden Landes erleben. Eine unveränderte deutsche Fassung des US-Originals erschien im Jahr 2000 bei Marvel Deutschland innerhalb der Reihe „Marvel Klassik“, die unter dem Namen „Marvel Masterworks“ in buchgebundener Form in den USA läuft. Enthalten sind die Hauptstorys aus „Journey Into Mystery“ # 83 – 100. Die „Tales Of Asgard“ (JIM # 97-100) erschienen in der deutschen Fassung nicht.

Leserservice

„Thor“ gehört zu den Comic-Serien, bei denen das Lesen auf Deutsch keinen großen Spaß macht, und deren Potential weit größer ist, als geahnt.* Das liegt vor allem an der stiefmütterlichen Behandlung durch die Lizenzverlage, deren Veröffentlichungen oftmals unchronologisch und lückenhaft sind. Deshalb folgt hier  die Checkliste mit der idealen Lesereihenfolge der Abenteuer des Donnergottes als PDF.

Thor_Checklist als PDF

Thor-Collage
Diese für Jack Kirby typische Slash-Page wurde der Origin-Story von Thor hinzugefügt, als sie 1968 als Flashback neu erzählt wurde („Der mächtige Thor“ Nr. 1, Williams Verlag 1974).

Daniel Wamslers aktueller Blog zum Thema „Thor“ findet sich hier: https://dassagtenuff.blogspot.com/2019/03/immer-wieder-ein-bisschen-anders.html
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*  Siehe dazu auch https://blog.montyarnold.com/2016/10/01/aquarius-prinz-namor-der-held-von-atlantis-die-deutsche-chronologie-von-marvels-sub-mariner/
** Siehe dazu auch https://blog.montyarnold.com/2015/09/19/eine-faust-geht-nach-osten/ über den Fall „Der rote Wächter“

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Eine Antwort zu Die Marvels wie sie wirklich waren: Thor (2/2)

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