Zwei Dritte Männer

betr.: 43. Jahrestag der Erstausstrahlung des Films „Der Dritte Mann“ im dt. Fernsehen

Buchclub-Cover von 1959

Dass „Der Dritte Mann“ nicht nur als Film zu einem Glücksfall wurde, sondern auch auf dem engeren Gebiet der Literaturverfilmung, hängt sicher damit zusammen, dass die Entstehung der gedruckten und der bewegten Fassung zusammenhängen. Ähnlich wie der Filmemacher Charles Chaplin*, gelangte auch der Schriftsteller Graham Greene zu der Überzeugung, es sei „nahezu unmöglich, ein Drehbuch zu schreiben, ohne den Vorwurf zunächst als Erzählung zu behandeln. Selbst ein Film erfordert mehr als bloße Handlung; seine Wirkung hängt von einem gewissen Maß an Charakterisierung, von Stimmung und Atmosphäre ab; und diese lassen sich – so scheint es mir – auf den ersten Wurf nicht in der dürren Kurzschrift eines Filmmanuskripts ausdrücken.“ Andere Künstler legen zu diesem Zweck Profile ihrer Helden an, die dann im Film nicht komplett verarbeitet werden, oder drehen Schlüsselszenen und Rückblenden, die sie sich dann für den Director‘s Cut aufheben können. Quentin Tarantino will für „Once Upon A Time… In Hollywood“ sogar Episoden der fiktiven Western-Serie gedreht haben, in der sein Held gespielt hat.
Greenes Methode hat den Vorteil, dass es den Dritten Mann nun gleich zweimal gab, obwohl die Buchversion zunächst nicht für die Veröffentlichung bestimmt war, wie es heißt. Aus ihm sprach der hauptberufliche Schriftsteller, als er erklärte: „Man kann den Schöpfungsakt nicht in der Form des Drehbuchs vollziehen.“ Da hätten ihm viele Filmemacher sicher widersprochen, ihm hier aber zugestimmt: „Man muss das Gefühl haben, über mehr Stoff zu verfügen als man dann tatsächlich benötigt.“
Interessanterweise kommt es auch in diesem Fall zu Abweichungen des Films vom Buch: „Die Wahl eines amerikanischen statt eines englischen Stars machte eine Reihe von Umgestaltungen notwendig. So erhob Mr. Joseph Cotten begreiflicherweise Einspruch gegen den Vornamen Rollo. Der Name musste aber albern sein, und mir fiel Holley ein, als ich mich an den amerikanischen Schriftsteller Thomas Holley Chivers, jene spaßige Erscheinung, erinnerte. (…) Eine der wenigen größeren Meinungsverschiedenheiten zwischen Carol Reed und mir betraf das Ende, und der Erfolg hat ihm in glänzender Weise recht gegeben.“ Greene befürchtete, „dass nur wenige Zuschauer ausharren würden, während die junge Frau den langen Weg durch die Friedhofsallee zurücklegt (…). Allerdings hatte ich der meisterhaften Regie Reeds nicht gebührend Rechnung getragen, und überdies konnte zu diesem Zeitpunkt keiner von uns Reeds brillante Entdeckung des Zitherspielers, Herrn Karas, vorausahnen.“
Es war wiederum Chaplin, der einen seiner langen Stummfilme mit der gleichen Implosion der Schlusspointe beendet hat.** In beiden Fällen ist der Effekt grandios. Und weil er kaum je kopiert wurde, hat er sich niemals abgenutzt.

Das Hörspiel auf der Basis der ersten Synchronfassung von „Der Dritte Mann“ ist ab heute hier abrufbar: https://rbprogressivedl-a.akamaihd.net/clips/099/099307/099307_00414359_audio_stereo.mp3
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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2018/04/16/die-wiedergefundene-textstelle-calveros-albtraum/
** Siehe https://blog.montyarnold.com/2018/06/14/die-schoensten-filme-die-ich-kenne-der-zirkus/

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