Wildnis Weltall

betr.: Zweiter Band der „Silver Surfer Classic Collection“ bei Panini / 97. Geburtstag von John Buscema (morgen)

Misery, my sweetest friend – oh, weep no more!
Percy Shelley – „Death“

… twice would be vicious or just repetitious. (…) I never do anything twice!
Stephen Sondheim – „The Seven-Per-Cent Solution“

Ein großes Faszinosum der Marvel Comics aus dem Silver Age* hat sich erst nach dessen Ende erweisen können: die Befristung, die Endlichkeit.
Ironischerweise ist das in jenem Zeitraum geschaffene Repertoire ziemlich genau das, was der Williams Verlag von 1974 bis ’78 auf Deutsch veröffentlichen konnte, ehe er das Programm wieder einstellen musste. (Es bildet außerdem die literarische Vorlage für das „Marvel Cinematic Universe“.) Aus heutiger Sicht könnte man sagen: so abrupt und schmerzhaft dieses Ende für die Leser dieser Generation einst war, es kam erzählerisch zu einem guten Zeitpunkt. Es hatte ohnehin eine Zäsur stattgefunden.

Im frühen Bronze Age zog sich Stan Lee aus dem Autorensessel zurück, was von der Leserschaft auch deshalb kaum bemerkt wurde, weil er mit Roy Thomas einen überaus fähigen Nachfolger aufgebaut hatte. Thomas verhinderte, dass es zu einem qualitativen Bruch gekommen wäre.
Doch da die Marvel-Helden im Gegensatz zu herkömmlichen Comic-Heroen auch alterten, Kinder bekamen, starben …, konnte es nicht ewig so weitergehen. Das Überleben der Zeitachse war die Schattenseite des bahnbrechenden Konzeptes. Der Hulk musste irgendwann (recht früh, wenn man es genau betrachtet) die Wüste verlassen, die ihn hervorgebracht hatte, und in die Stadt gehen; Peter Parker musste irgendwann sein Teenagerdasein hinter sich lassen und „erwachsen werden“; und Captain Marvel ging erst im All verloren und dann in einer unbequemen Kette von Relaunches – nicht einmal sein Krebstod konnte ihn davor bewahren.

Der „Silver Surfer“ verkörpert dieses Paradox mustergültig. Er ist eine ganz besonders charismatische und spitzfindige Heldenfigur aus dem „Haus der Ideen“ – und folglich hatte er zunächst wenig kommerziellen Erfolg. Seine eigene Heftreihe, nachdem er bei den „Fantastic Four“ auf einem Höhepunkt der Dramaturgie eingeführt worden war, brachte es gerade mal auf 18 Ausgaben. Diese passten genau in den Prachtband „Silver Surfer Omnibus“, den Panini im letzten Jahr vorgelegt hat.
Dass es nun mit der „Classic Collection“ trotzdem eine natürliche Fortsetzung gibt, ist eine gute Nachricht – denn schließlich möchte man nach dieser Lektüre nicht wahrhaben, dass die Saga tatsächlich zuende sein könnte. Aber wer, wenn nicht wir Marvel-Leser, könnte besser begreifen, dass darin wiederum eine Ironie liegt? Und was sich daraus machen lässt. Um weiterleben zu können, musste der Surfer seinen Markenkern opfern: den Status des „gefallenen Engels“, des Verbannten.

Bill Slaviscek erklärt es im Nachwort zum besprochenen Band: „Gleich in der ersten Ausgabe befreien Steve [Englehart] und Marshall [Rogers] den Silberstürmer aus seiner Gefangenschaft. ‚Wir werden einen Silver Surfer zeigen, der sein volles Potenzial entfalten kann‘, sagte Steve. ‚Ich habe beim Schreiben festgestellt, dass die Figur ohne die Fesseln ganz anders wird als das, was wir bisher gesehen haben. Es ist wie bei einem riesigen Gorilla im Zoo, der kaum etwas mit seinem Gegenstück in der Wildnis zu tun hat.‘“
_______________________
* Siehe https://blog.montyarnold.com/2021/01/11/the-silver-age-of-comics/

Dieser Beitrag wurde unter Comic, Marvel, Science Fiction abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert