betr.: 97. Geburtstag von Frederick Stafford
„Topaz“ ist einer der Hitchcock-Filme, die niemand mag, und das schon seit seiner Premiere. Während er atmosphärisch in jeder Einstellung als solcher erkennbar ist, fehlen ihm doch viele Aspekte, an die sich das Publikum in dieser Produktlinie mittlerweile gewöhnt hatte: ein flottes Tempo, ein charismatischer Held in akuter Gefahr, obligatorischer Hollywood-Glamour, eine dicke Überraschung im zweiten oder dritten Akt, eine Filmmusik von Bernard Herrmann (mit dem Hitchcock sich soeben verkracht hatte).
Auch Hitchcocks Lieblingsmotive – der unschuldig Gejagte, die große (blonde) Frauenfigur im Zentrum der Handlung, der allgegenwärtige Witz – sind nicht am Platz. Zwar wird uns für jede dieser Auslassungen etwas anderes geboten, doch das interessierte niemanden: eine Vielzahl von Schauplätzen, prächtigen Dekorationen und liebevoll gezeichneten Charakteren und eine sehr lineare, gleichmäßige Erzählung, die sich zielstrebig auf ihre Auflösung zubewegt (und dem Film als Lahmheit angekreidet wurde). Diese Auflösung ist wiederum etwas missglückt (es wurden mehrere alternative Enden gedreht und alle verworfen, zuletzt „bastelte“ man sich ein Finale zusammen). Und der Titelheld hat wahrhaftig das Temperament eines Dienstreisenden: Frederick Stafford, ein österreichisch-tschechischer Schauspieler, der sich als Gehreimagent in europäischen Kolportagefilmen bewährt hatte und nach „Topaz“ augenblicklich in Vergessenheit geriet. Der Humor des Films ist weniger vordergründig, sondern erschöpft sich stattdessen in der feinen Beobachtung menschlicher Schwächen und Marotten, die die Regie sehr effektiv aus dem Ensemble herausholt – nur eben nicht aus dem strahlend attraktiven, aber eindimensionalen Hauptdarsteller.*
Mit seinem Vorgänger „Torn Curtain“ bildet „Topaz“ ein Doppelprogramm aus Agentenkrimis – eine seltsam trendige Phase in Hitchcocks Werk. Dass die Reklame „Topaz“ als 50. Film des großen Regisseurs zusätzliche Erwartungen aufbürdete, hat die Sache nicht einfacher gemacht. „Torn Curtain“ ist der temporeichere und insgesamt populärere der beiden, aber das ist ungerecht.
Trotz seiner bedächtigen Struktur erlebe ich „Topaz“ bei jedem Wiedersehen als erstaunlich kurzweilig. Die vielen kleinen Portraits der Menschen, die unter die Räder des Kalten Krieges geraten oder doch zumindest um ein erfülltes Familienglück gebracht werden, sind subtil und trotz der eleganten Technicolor-Patina der Produktion zeitlos und berührend. Hitchcock leistet sich eine Handvoll europäischer Stars. Das in Paris spielende Finale wartet etwa mit den Giganten Philippe Noiret und Michel Piccoli auf (auch der Komponist Maurice Jarre kommt aus Frankreich), und die Deutsche Karin Dor ist in ihrer Rolle als kubanische Untergrundkämpferin einfach großartig. Sie hatte es über ein 007-Gastspiel bis nach Hollywood geschafft, doch die Weltkarriere blieb aus. Gleichzeitig endete die in ihrer Heimat. Mit ihrer Scheidung vom Regisseur Harald Reinl verschwand Dor auch aus dem Wirtschaftswunder-Klamottenkino.
_______________
* Es gibt Leute, die das anders sehen. Harris & Lasky finden in der „Citadel“-Filmbuchreihe die Schauspielerei insgesamt „armselig“, gestehen aber immerhin John Forsythe (später der Patriarch im „Denver-Clan“) eine durchschnittliche Leistung zu.