Tierhaargespräche

geführt von Monty Arnold

Veröffentlicht unter Cartoon (eigene Arbeiten), Gesellschaft | Verschlagwortet mit , , | Schreib einen Kommentar

Der Esel – Unterschätzter Freund des Menschen

betr.: Nebenprodukt eines aktuellen Schreib-Auftrags

Bei den Alten Griechen galt der Esel als dummes und faules Tier. Neben einem edlen Pferd kommt er besonders schlecht zur Geltung. Vor allem die langen Ohren …
Esel sind sehr intelligent. Sie wollen beschäftigt werden, sonst langweilen sie sich und kommen auf dumme Gedanken.
Was der Mensch verächtlich „Eselei“ nennt, ist also kein Ausdruck ihrer Dummheit, sondern – im Gegenteil – ihrer Intelligenz und ihrer Persönlichkeit.
Der Esel mit das älteste Haustier des Menschen, wenn auch Pferd, Schwein, Hund und Katze ihn verdrängt haben.
Dass man den Esel so gerne als Packtier einsetzt, liegt an seiner Zähigkeit. Viel länger als ein Pferd kann er ohne Wasser auskommen.
Esel zeigen Schmerzen deutlich später an als Pferde, sind trittsicherer und viel vorsichtiger. Und sie sind – im Gegensatz zum Pferd – schwindelfrei.
Und anders als bei Pferden gibt es hier keine Leitstute. Jede Eselin entscheidet selbst. Männliche Esel sowieso, denn sie leben erst gar nicht in einer Herde.
Übrigens: Mark Twain bevorzugte bei Bergtouren einen sehr kleinen Esel. In Zeiten der Gefahr konnte er die Beine ausstrecken, und den Esel unter sich fortlaufen lassen. Leider behinderten die Ohren des Tieres seine Aussicht …

Veröffentlicht unter Gesellschaft, Literatur | Verschlagwortet mit , | Schreib einen Kommentar

Du bist erkannt!

betr.: Tipps für den sozialen Auftritt

Die „ZEIT-Magazin“-Kolumnistin Claire Beermann hat den schauspielernden Komiker Sacha Baron Cohen bei einer typischen Social-Media-Mogel-Selbstverpackung erwischt, bei einer Art professionellem Greenwashing: wie so oft, wenn prominente Männer eine Trennung durchlaufen, zog es ihn ins Fitnessstudio, um den durch kosigen Beziehungsmief schwammig gewordenen Leib wieder aufzumöbeln. Da die so erneuerten Mannsbilder ungern zugeben, dass ihre Disziplin etwas mit der Ex zu tun haben könnte (oder mit dem allzumenschlichen Wunsch, für die Partnersuche wieder etwas besser auszusehen), wird gern eine berufliche Ausrede bemüht. Bei Schauspielern lautet die immer: ich tu’s für die Rolle, hat nix mit Eitelkeit zu tun. Cohen schob seine frischen Muskelpakete, wie Beermann herausfand, aber auf einen Part, in dem man die schlankere Figur wegen seiner Kostümierung gar nicht sehen kann. Das Vorher-Bild des Artikels ist aber nicht ganz sauber ausgesucht. Es zeigt Cohen in seiner berühmtesten und absichtlich betont peinlichen Rolle als „Borat“ (2006). Drei Jahre darauf sah der Komiker als „Brüno“ erheblich fitter und appetitlicher aus, obwohl er es auch hier wiederum auf das Portrait eines unvorteilhaften (tuntigen) Charakters anlegte.
Bei uns in Deutschland ist alles so ähnlich, aber ein paar Nummern kleiner und auch ohne Recherche durchschaubar.
Als Heinz Hoenig in Dieter Wedels TV-Sechsteiler „Der König von St. Pauli“ (1998) auftrat, hatte er auf einer seit Jahren allmählich ansteigenden Kurve ein massiges Stadium erreicht, das er ungefragt meinte, der Presse erläutern zu müssen. Er habe das Gewicht extra zugelegt, um den Ex-Boxer Sugar besser spielen zu können. In den folgenden Jahren schien er ein plötzliches Comeback dieses Charakters nicht auszuschließen.

Veröffentlicht unter Fernsehen, Film, Gesellschaft, Popkultur | Verschlagwortet mit , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar

Wohnwelten (12): Rund um den Schrank von Thomas Mann

Von August 1897 bis Juli 1900 arbeitete Thomas Mann an seinem Familienroman „Buddenbrooks“, und während dieser drei Jahre kamen nur drei weitere Erzählungen zustande. Deren wichtigste und interessanteste ist ohne Zweifel „Der Kleiderschrank“, Untertitel: „Eine Geschichte voller Rätsel“. „Rätselhaft“ ist denn auch der Ausdruck, den die fachliche Nachwelt immer wieder dankbar auf diesen Text anwendet, um Thomas Mann nicht in die etwas despektierliche Nähe von Hanns Heinz Ewers oder Ambrose Bierce rücken zu müssen. Nichtsdestoweniger handelt es sich hier um eine phantastische Erzählung, also eine ganz wunderbare Sache.
Geschrieben wurde „Der Kleiderschrank“ in nur wenigen Novembertagen des Jahres 1899, offensichtlich ohne lange Vorbereitung und unter dem Eindruck eines sonderbaren Erlebnisses. Thomas Mann war ein Jahr zuvor in eine neue Wohnung in Schwabing gezogen, zwei kleine Räumlichkeiten im Hause Marktstraße 3 im dritten Stock. Und wie er sie fand, wie sie aussah und was er dort erlebte, hat er in der besagten Geschichte beschrieben.

Es war ein kleiner, niedriger Raum mit brauner Diele. Seine Wände aber waren bis obenhinauf mit strohfarbenen Matten bekleidet. Das Fenster an der Rückwand rechts verhüllte in langen schlanken Falten ein weißer Musselinvorhang. Die weiße Tür zum Nebenzimmer befand sich rechter Hand. (…) Dieses Zimmer war erbärmlich kahl mit nackten weißen Wänden, von denen sich drei hellrot lackierte Rohrstühle abhoben wie Erdbeeren von Schlagsahne. Ein Kleiderschrank, eine Waschkommode nebst Spiegel. Das Bett, ein außergewöhnlich mächtiges Mahagonimöbel, stand frei in der Mitte des Raumes. (…) Er zog ein vernickeltes Etui aus der Tasche, entnahm ihm Seife und begann, sich an der Waschkommode Gesicht und Hände zu erfrischen. Zwischendurch blickte er durch die stark nach außen gewölbten Fensterscheiben tief hinab über gotige Vorstadtstraßen im Gaslicht, auf Bogenlampen und Villen. Während er seine Hände trocknete, ging er hinüber zum Kleiderschrank. Es war ein vierschrötiges, braun gebeiztes, ein wenig wackliges Ding mit einer einfältig verzierten Krönung und stand inmitten der rechten Seitenwand genau in der Nische einer zweiten weißen Tür, die in die Räumlichkeiten führen musste, zu welchen draußen an der Treppe die Haupt- und Mitteltür den Eingang bildete. „Einiges in der Welt ist gut eingerichtet“, dachte Van der Qualen. „Dieser Kleiderschrank passt in die Türnische, als wäre er dafür gemacht.“
Er öffnete. …

Veröffentlicht unter Literatur | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar

Willies letzte Eiscreme

Zum Tode von Terence Stamp

Soeben wird der Tod von Terence Stamp gemeldet. Das ist mir und dem Podcast „Kultfilm Azubis“ eine Programmänderung wert. Das ohnehin geplante Gespräch über seine frühe Glanzleistung „Der Fänger“ wird auf kommenden Freitag vorgezogen, „E. T.“ kommt nächste Woche dran. Das hat der Verstorbene verdient, singt er doch Woche für Woche zusammen mit Monica Vitti unsere Abspannmusik.

Terence Stamp widerfuhr mehrere Nummern kleiner, was auch sein Kollege Alec Guinness erleben musste. Nach einem langen Leben als einer der Größten der britischen Schauspielkunst setzte er sich ausgerechnet als greiser Mentor eines Helden in einem sensationell erfolgreichen Trashprodukt im Bewusstsein des Publikums fest. Stamp war in jungen Jahren immerhin von Peter Ustinov entdeckt worden, der dem Unbekannten die Rolle des Billy in „Die Verdammten der Meere“ anvertraute. Das ist viel Verantwortung, denn der Stoff steht und fällt mit der Anmut, dem Charisma und der Integrität, die hier in einem Darsteller zusammentreffen müssen: Billy Budd ist auf den britischen Inseln eine mythische Figur.
Es gelang! Und Stamp drehte mit Fellini, Pasolini, Steven Soderbergh und William Wyler. Erinnert wird sich jedoch nur an seinen Fiesling aus den „Superman“-Filmen mit Christopher Reeve, die heute eher Mitleidsreflexe auslösen: wegen ihrer kleinbürgerlichen Steifheit, wegen der veralteten Effekte und wegen des tragischen Schicksals ihres Hauptdarstellers Christopher Reeve.
Terence Stamp wird es ähnlich gehalten haben wie Alec Guinness: er wird auf dem Weg zur Bank über sein Missgeschick geweint haben. Oder um es mit Michael Caine – einem anderen künstlerisch untadeligen Briten – zu sagen: „Wer seine Miete bezahlen will, kann nicht ausschließlich Kunst machen“.

Veröffentlicht unter Allgemein | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar

Endlich wiedergesehen: „Hundstage“

Sidney Lumet war ein Gigant und ist unzweifelhaft der am meisten unterschätzte Filmemacher Hollywoods – in den immerhin 51 Jahren zwischen seinem ersten Kinofilm (dem Klassiker „Die 12 Geschworenen“) und seinem letzten (dem unauffälligen Thriller-Goldstück „Tödliche Entscheidung“). Keiner wird seine Könnerschaft bestreiten, aber kaum ein junger Kollege bekennt sich zu ihm, abgefeiert wird er nie. Er verschwindet spurlos hinter seinen zahlreichen Erfolgen. Selbst ich als sein großer Fan gerate beim spontanen Versuch ins Schwimmen, mir seine Hits (etwa „Network“ oder „Mord im Orientexpress“) in Erinnerung zu rufen, seine zu unrecht namenlosen (z.B. „Anruf für einen Toten“) oder zu unrecht himmelhoch gerühmten Arbeiten (siehe unten). Doch sehenswert sind sie letztlich alle, sogar wenn sie uns mit der angemessenen Behandlung ihres fürchterlichen Sujets peinigen („Der Pfandleiher“, „Ein Haufen toller Hunde“ oder „Sein Leben in meiner Gewalt“). Gerade geriet ich wieder einmal an eines von Lumets sogenannten „Meisterwerken“ und konnte mir nochmals klarmachen, warum ich ausgerechnet dieses überhaupt nicht mag.

„Dog Day Afternoon“ erhielt im Deutschen den unpassenden Titel „Hundstage“ – der Film spielt wirklich an einem einzigen Tag, wie der Originaltitel nahelegt.
An diesem Hochsommernachmittag überfallen die Amateurgangster Sonny und Sal eine kleine Bank in einem New Yorker Vorort. Der geplante Zehn-Minuten-Coup wächst sich zum zwölfstündigen Drama aus. Die beiden nehmen die Bankangestellten als Geiseln und verschanzen sich im Schalterraum. Als Sonny die Bedingungen für einen freien Abzug aushandelt, findet er sich (als einer der ersten Menschen überhaupt) als tragischer Held einer TV-Live-Reportage wieder. Selbst der Mann, für den er all dies auf sich nimmt, ist von dem Aufsehen nicht begeistert. Auf dem Kennedy-Airport kommt es zu einem überraschenden Finale …

Meines Erachtens macht der Film bereits den Fehler, uns eine vom Start weg vollkommen aussichtslose Aktion anzubieten, deren Aufwand und dessen billige Inkaufnahme von Toten und Schwerverletzten in keinem Verhältnis zum angestrebten Ziel steht. Der Ober-Bankräuber blamiert sich sogleich mit Slapstick (Tücke des Objekts), dem Fortlaufen eines seiner zwei Komplizen und – besonders übel – einer zartfühlenden Natur, der sämtliche Charaktereigenschaften fehlen, um solch einen Raub durchzuführen. Darüber sieht jeder gern hinweg, der Al Pacino liebt – das trifft auf den Regisseur und auf Millionen Kinofans zu, auf mich leider nicht. Ich mag tatsächlich jede andere schauspielerische Leistung lieber (bis hin zu den zumeist weiblichen Geiseln, die die ganze Zeit im Bild sind, ohne vordergründig viel tun zu müssen) und bestaune einmal mehr das Geschick des Regisseurs, sie alle anzuleiten. Aber es hilft nichts. Im klimatisierten Kinosessel quäle ich mich durch diesen Film, als müsste ich mit den Gefangenen in einer sommerheißen Bankfiliale sitzen, in der die Klimaanlage ausgefallen ist, und mich über die beiden Verrückten ärgern bzw. vor ihnen fürchten, die mich um meinen Feierabend betrügen.

Veröffentlicht unter Film, Rezension | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar

Kultfilm Azubis (13): Räuber und Gendarm

betr.: 13. Todestag von William Windom (morgen)

Die Ganoven sind kein bisschen schlimmer als die Bullen, die sie jagen. Das demonstrieren Ende der 60er Jahre die Filmhelden, die uns heute im Podcast beschäftigen werden: ein französischer Killer und ein amerikanischer Ermittler. Und beide sind verdammt einsam.
Dies ist ein Crossover mit dem Berliner Filmpodcast „Die Guten von gestern“ – wir sind zu Gast bei Andi Latuska und Dieter Laduris

A) Der eiskalte Engel / Le Samourai
Französischer Thriller von 1967

Killer Jeff Costello wird von der Sängerin Valerie dabei erwischt, wie er nach der Ermordung ihres Chefs, eines Nachtclub-Besitzers, vom Tatort flüchtet. Dennoch bestreitet sie der Polizei gegenüber, ihn gesehen zu haben. Der Kommissar glaubt ihr ebensowenig wie Jeffs unglücklicher Geliebter Jeanne, die ihm ein Alibi gibt. Als seine Auftraggeber ihren Vertrag brechen, begibt Jeff sich auf einen persönlichen Rachefeldzug – mit der gleichen kalten Präzision.

Jean-Pierre Melvilles stilsichere, einfühlsame Würdigung des fernöstlichen Kinos mit Anleihen beim Film Noir in komplett französischem Ambiente ist aus heutiger Sicht eine prophetische Tat. Über Jahrzehnte war „Le Samourai“ hierzulande der am meisten geschätzte Film mit Alain Delon und das gefühlte Hauptwerk des französischen Kriminalfilms. Der Kult verblasste erst, als Filmklassiker an sich bedeutungslos wurden.

Der Detektiv / The Detective
Amerikanischer Polizeifilm von 1968

Der New Yorker Ermittler Joe Leland (Frank Sinatra) soll den brutalen Mord am Spross einer wohlhabenden Familie aufklären, einflussreiche Leute, die die homosexuellen Neigungen ihres Sohnes diskret behandelt wissen wollen. Unbeeindruckt und unvoreingenommen nimmt Leland seine Nachforschungen auf, präsentiert in Rekordzeit einen Schuldigen und wird befördert. Bald darauf bringt ihn der Selbstmord eines Geschäftsmannes in Verlegenheit. Viel spricht dafür, dass Leland den Falschen auf den elektrischen Stuhl gebracht hat …

Der Komödienregisseur Gordon Douglas und der größte Entertainer des Abendlandes schufen gemeinsam ein mitleidsloses, grimmiges Drama, das die trostlose Situation der Homosexuellen am Ende der 60er Jahre parabelhaft einfängt, unmittelbar bevor die Schwulenbewegung mit den Stonewall-Unruhen in eine neue Phase treten sollte. In Nebenrollen glänzen Lee Remick, Lloyd Bochner und William Windom.

Zum Gespräch Film 2 erreichte uns über Steady dieser Hinweis von unserem Hörer Günter Rau-Kretschmer:
Zur aktuellen Doppelfolge sei gesagt, dass weiterführende Informationen zum Script und den Besitzrechten an Mr. Throps Buch im Netflix Special The Movies that made us Stirb Langsam genau beschrieben sind. Frank Sinatra hielt die Reche an der Verfilmung.

Nächste Woche: „E. T. – Der Außerirdische“ und Der unheimliche Besucher

Veröffentlicht unter Film, Gesellschaft, Musik, Podcast, Popkultur | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar

Vorspiele auf dem Theater (15)

betr.: Werkanfänge mit Musik-, Theater- oder Medienbezug

Der „bsv“ (Bildschriftenverlag) wagte 1967 eine Comic-Heftreihe der TV-Serie „The Twilight Zone“, die in den USA bei Gold Key/Western Publishing von November 1962 bis Mai 1982 92mal erschienen war. In der Bundesrepublik blieb es bei einer Ausgabe der „Zwielicht Zone“. Wie in der Serie trat auch hier Showrunner Rod Serling zu Beginn jeder Geschichte als Moderator in Erscheinung.

Veröffentlicht unter Comic, Fernsehen, Theater | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar

Die wiedergefundene Textstelle: Der Golem wie er aus der Welt kam

Kaum hatte die deutsche Armee Prag besetzt, begann in gewissen Vierteln das Gerede, der berühmte Golem, Rabbi Loews wundersamer Homunkulus, müsse in die Sicherheit des Exils gebracht werden. Der Einmarsch der Nazis wurde begleitet von Gerüchten über Konfiszierung, Enteignung und Plünderung, insbesondere

von jüdischen Schöpfungen, Kunstwerken und heiligen Gegenständen. Die heimlichen Hüter fürchteten vor allem, dass der Golem verpackt und verfrachtet werden könne, um irgendein Institut oder eine Privatsammlung in Berlin oder München zu schmücken. Schon hatten zwei freundliche, argusäugige junge Deutsche mit Notizbüchern fast zwei volle Tage damit verbracht, in der Altneusynagoge herumzuschnüffeln, in deren Traufe sich der Legende nach der lange schlummernde Held des Ghettos befand. Die beiden jungen Deutschen hatten angegeben, lediglich interessierte Studenten ohne offizielle Verbindungen zum Reichsprotektorat zu sein, aber das wurde angezweifelt. Gerüchten zufolge waren gewisse hochrangige Parteimitglieder in Berlin eifrige Schüler der Theosophie und des so genannten Okkulten. Es schien nur eine Frage der Zeit, bis der Golem in seinem gewaltigen Kiefernsarg in seinem traumlosen Schlaf entdeckt und beschlagnahmt werden würde.
Im Kreise seiner Hüter bestand ein gewisses Maß an Skepsis gegenüber dem Plan, den Golem ins Ausland zu schaffen, selbst wenn es zu seinem Schutz geschah. Manche gaben zu bedenken, dass er möglicherweise körperlich zerfalle, wenn er seinem angestammten Klima entzogen würde, da er ja ursprünglich aus dem Schlamm der Moldau geformt worden sei. Wer einen Hang zum Historischen hatte – und wie Historiker allerorten stolz auf seine nüchterne Betrachtungsweise war –, führte an, der Golem habe bereits viele Jahrhunderte Invasion, Elend, Krieg und Pogrom überlebt, ohne aufgegeben oder verschleppt worden zu sein, und riet von einer unbesonnenen Reaktion auf diese neuerliche, vorübergehende Krise im Leben der böhmischen Juden ab. Es waren sogar einige unter ihnen, die, in die Enge getrieben, zugaben, dass sie den Golem nicht wegschicken wollten, weil sie in ihrem Herzen die kindische Hoffnung bewahrt hatten, der große Feind der Judenhasser und Blutsverleumder möge eines Tages, im Moment der größten Not, wiederbelebt werden, um erneut in den Kampf zu ziehen. Schlussendlich jedoch fiel das Votum zugunsten einer Umbettung des Golems an einen sicheren Ort, vorzugsweise in ein neutrales Land, das weit genug entfernt und nicht völlig judenfrei war.

An dieser Stelle nannte ein Mitglied des geheimen Zirkels mit Verbindungen zum Prager Zauberkünstlermilieu den Namen von Bernard Kornblum, das sei ein Mann, dem man die Rettung des Golems anvertrauen könne. Bernard Kornblum war ein »Ausbrecher«, ein Zauberkünstler, der sich auf Kunststücke mit Zwangsjacke und Handschellen spezialisiert hatte – die Art von Vorstellung, mit der Harry Houdini berühmt geworden war. Er hatte sich vor kurzem von der Bühne zurückgezogen (er war mindestens siebzig), um sich in Prag, seiner selbstgewählten Heimat, niederzulassen und auf das Unentrinnbare zu warten. Doch ursprünglich, sagte sein Fürsprecher, stamme er aus Vilnius, jener heiligen Stadt des jüdischen Europas, die, obwohl bekannt für ihren Realitätssinn, im Ruf stand, Menschen zu beherbergen, die Golems herzlich und wohlwollend gegenüberstanden. Außerdem war Litauen offiziell neutral, und welche Ambitionen Hitler diesbezüglich auch immer gehabt haben mochte, so hatte ihnen Deutschland in einem Geheimprotokoll zum Molotow-Ribbentrop-Pakt feierlich entsagt. Also wurde Kornblum herbeizitiert, von seinem angestammten Platz am Pokertisch im Glücksspielzimmer des Hofzinserclubs zu dem geheimen Ort geholt, wo sich der Zirkel traf – bei »Grabmale Faleder«, in einem Schuppen hinter der Grabsteinausstellung. Kornblum wurde die Natur des Auftrags erklärt: Der Golem müsse aus seinem Versteck geschafft, für den Transport entsprechend präpariert und dann außer Landes zu gleich gesinnten Kontaktleuten nach Vilnius befördert werden, ohne dass irgendjemand davon etwas merkte. Notwendige offizielle Dokumente–Frachtbrief, Zollbescheinigung – würden von einflussreichen Mitgliedern des Zirkels oder von deren hoch gestellten Freunden beigebracht werden.
Bernard Kornblum erklärte sich auf der Stelle bereit, den Auftrag anzunehmen. Obwohl er wie viele Magier von Beruf aus ein Ungläubiger war, der nur die Natur als große Zauberkünstlerin verehrte, war Kornblum gleichzeitig ein pflichtbewusster Jude.


Nicht zufällig macht Michael Chabon in seinem der Comickunst gewidmeten Roman „Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier & Clay“ den Golem zu einem Gegenstand des Interesses. Die Helden sind zwei junge jüdische Künstler, die Mitte des 20. Jahrhunderts dem Comic in New York zu seinem Siegeszug verhelfen. Siehe auch https://blog.montyarnold.com/2025/08/10/superhelden-uebermenschliche-kraefte-und-einfache-loesungen/

Veröffentlicht unter Comic, Literatur | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar

Was ich gern früher gewusst (oder kapiert) hätte …

Es gibt Branchen, die als wahnsinnig cool galten, doch wenn es gut läuft, ist man dort nur zu Besuch: Werbung, Synchronbranche, Fernsehen.

Mit Geduld versaut man sich die ganze Jugend. Die verlorene Zeit gibt keinem niemand zurück.

Leid ist nicht die Voraussetzung von Kunst, aber wer gar keine Sorgen hat (sowas gibt es!), wird nichts erschaffen, das andere Menschen berührt.

Von schlechten Französischlehrern / -lehrerinnen darf man sich nicht in dem Bemühen bremsen lassen, die Sprache zu erlernen.

Ölziehen, eine Methode der Zahnreinigung, betreibt man am besten täglich.

Und: Zähneputzen ist gut, aber das Wichtigste sind die Zahnzwischenräume!

Veröffentlicht unter Gesellschaft, Monty Arnold - Biographisches | Verschlagwortet mit | Schreib einen Kommentar