geführt von Monty Arnold

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betr.: Die Niederlande haben gewählt
betr.: „How To Hitchcock“ von Jens Wawrczeck
Schon im Vorwort gibt Jens Wawrczeck das Offensichtliche zu: „Ich kenne keinen Regisseur, über den mehr Biographien veröffentlicht und dessen Filme häufiger analysiert wurden. (…) Sucht man im Netz nach ‚Hitchcock‘, ertrinkt man in einem Meer von Einträgen.“
Als jemand, der die meisten dieser Bücher und unzählige der Artikel gelesen hat, als jemand, der Jens‘ künstlerische Arbeit persönlich sehr schätzt und der darüberhinaus seine Hitchcock-Begeisterung teilt, bin ich vielleicht gar nicht so geeignet, „How To Hitchcock“ zu beurteilen. Andererseits glaube ich, dass dessen Vorzüge auch vielen der „Ertrinkenden“ zugutekommen müssten, die aus einer ganz anderen Richtung kommen.
Was dieses Buch, das ich mit Vergnügen in einem Rutsch gelesen habe, tatsächlich den bisherigen Hitchcock-Exegesen hinzuzufügen hat, ist das Eingehen auf die Rolle, die die literarischen Vorlagen im Werk des Regisseurs gespielt haben. Auch der deutsche Blickwinkel kommt sonst üblicherweise zu kurz.
Wir werden in eine Zeit mitgenommen, als es zwar noch keine Videos und Mediatheken, aber ein wirklich reichhaltiges Filmprogramm im Fernsehen gab. Als jemand, der nur wenige Jahre jünger ist, gelang es mir innerhalb von etwa fünf Jahren, fast alle Hitchcockfilme abzuwarten und mitzuschneiden – und mit den Werken anderer Regisseure war es ähnlich.
Das Buch ist nicht nur ein hilfreicher „Home Compagnion“ für alle Hitchcock-Einsteiger (der auch Kritik nicht ausspart). Es hat auch ein paar wundervolle Subtexte, die ich als Außenstehender umso deutlicher entziffern konnte. So erzählt es sehr anrührend, wenn auch ohne jeden Kitsch, vom unschätzbaren Wert eines liebevollen Elternhauses und von den Qualitäten einer Heimatstadt, die sich einmal mehr großzügig als weit geöffnetes Tor zur Welt erwiesen hat.
Veröffentlicht unter Film, Medienkunde, Popkultur, Rezension
Verschlagwortet mit Alfred Hitchcock, Donald Spoto, Hitchcock für Einsteiger, How To Hitchcock
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geführt von Monty Arnold
Was ist „kreative Erschöpfung“? „Kreativ erschöpft“ kann man tatsächlich von kreativer Arbeit sein, aber auch davon, dass man den Genuss der kreativen Arbeit anderer versäumt hat (bzw. davon, es auf die falsche Weise und mit den unpassenden kulturellen Erzeugnissen Erholung getan zu haben). Wie wichtig mußevoller Kunstgenuss oder eine bewusst gewählte Mediennutzung sind, empfiehlt schon die Logik: kulturelle Genüsse sind die Freuden, über die wir eine gewisse Kontrolle übernehmen können – im Gegensatz zu erfüllter Liebe, gutem Sex oder dem spontanen Aufsuchen exotischer Reiseziele!
Im aktuellen „Spiegel“ zählt die Ärztin Saundra Daunton-Smith sechs Varianten der Ermüdung zu einem Gesamtbild zusammen: „Erholungsdefizite können auf körperlicher, mentaler, spiritueller, emotionaler, sozialer, sensorischer und kreativer Ebene auftreten. Wir erschöpfen uns beispielsweise emotional, wenn wir unsere Gefühle nicht authentisch ausdrücken können, etwa weil wir als Ärztin oder Lehrkraft eine Rolle einnehmen, die es nicht immer erlaubt, Gefühle spontan auszudrücken. Körperlich erschöpfen wir uns dann, wenn wir viele Stunden am Tag angespannt vor dem Computer sitzen oder schwer heben. Es kostet uns mentale Energie, wenn wir dem Gehirn permanent Konzentration abfordern. Die Informationsflut, Lichtreize oder Lärm überlasten uns sensorisch. In unserem heutigen Alltag erschöpfen wir uns über den Tag hinweg in fast jedem Bereich.“
Das Arbeiten nach festen Vorgaben, wie es im Berufsleben beinahe obligatorisch ist, verursacht etwa das erwähnte kreative Energiedefizit. Schon durch das Betrachten von Kunstwerken im Flur des Arbeitsplatzes könne man „automatisch kreative Energie“ tanken. Es kann uns aber auch verdeutlichen, wie wichtig und wie viel effektiver es ist, in der verbleibenden Zeit selbst und ganz bewusst für einen persönlichen Kunstgenuss zu sorgen (für einen Genuss, bei dem der Algorithmus nicht mitentscheidet).
Ansonsten hilft auch Meditieren, „also Ihre Gedanken zu betrachten, ohne sie zu bewerten“.
Betr.: 61. Jahrestag der Erstausstrahlung von „Requiem For A Heavyweight“ (morgen)
Rod Serling* ebnete den Weg zu seiner Karriere als einer der wichtigsten Autoren des frühen US-amerikanischen Fernsehens (in dem fiktionale Stoffe noch live gespielt wurden) mit einer Reihe preisgekrönter Fernsehspiele, die uns heute nicht einmal mehr dem Namen nach geläufig sind. Der Schauspieler Anthony Quinn schildert in seiner Autobiographie „Ein-Mann-Tango“, wo er in diesem Repertoire seinen Platz hat. Er spricht dabei auch über das Finden und Durchhalten der Stimme einer Figur.
Sam Spiegel besorgte mir den Part des abgehalfterten Boxers Mountain Rivera in „Die Faust im Gesicht“, der Spielfilmadaption von Rod Serlings Fernsehklassiker] „Requiem For A Heavyweight“ (1962) aus der Reihe] „Playhouse 90“. Neben mir spielten in den Hauptrollen Jackie Gleason, Mickey Rooney und Julie Harris.
Es war eine pikante Rolle, die, wie ich inzwischen finde, zu meinen besseren Leistungen zählt, obwohl ich mir am Anfang Sorgen machte, ich könnte nur einen abgedroschenen Auftritt liefern. Ich bemühte mich, meine Darstellung von den grobschlächtigen Klischees zu befreien, die man in den meisten Boxerfilmen antrifft, und statt dessen das Portrait eines geschlagenen Mannes zu zeigen, der nicht mehr ein noch aus weiß. Doch meine anfänglichen Versuche blieben erfolglos.
Während der Proben arbeitete ich meinen Charakter ständig um und versuchte ihn richtig hinzubekommen. Einen Tag spielte ich Rivera als brutalen Rüpel, am nächsten als liebe, aber längst vergangene Größe. Niemand schien mein Ringen mit der Rolle wahrzunehmen oder sich dafür zu interessieren. Der Regisseur Ralph Nelson, der auch die Fernsehfassung realisiert hatte, war mit ein paar komplizierten Aufbauten beschäftigt. Gleason und Rooney hatten mit ihren eigenen Charakteren zu tun. Und der Produzent David Susskind versuchte von früh bis spät, alles zusammenzuhalten.
Am Tag bevor meine erste Szene gedreht werden sollte, hatte ich mich immer noch nicht entschieden, wie ich die Rolle nun spielen würde. An Ideen fehlte es nicht, aber irgendwie stimmte alles nicht so recht. Als ich schließlich mit Abie Bain, einem unserer Experten für die Boxszenen, noch ein letztes Mal eine Boxsequenz trainierte, hörte ich plötzlich auf der anderen Seite des Rings genau die Stimme, die ich haben wollte. Abie Bain war ein großer Halbschwergewichtler gewesen. Er hätte es womöglich zum Champion gebracht, nur ließ er sich nie von der Mafia vereinnahmen und schaffte es deshalb nie bis an die Spitze. Seine Stimme war ein heiseres Krächzen, so als wäre man ihm ein paarmal zu oft an die Gurgel gegangen. „Tony“, keuchte er, als wir es für den Abend gut sein ließen, „Süßer, was’n los?“ Er sprach unheimlich leise; in seiner Stimme lag Kraft, aber auch Schmerz, Unsicherheit und Zärtlichkeit.
Das ist es, dachte ich. Genau das hatte ich gesucht. Abie Bain würde meiner Darstellung von Mountain Rivera den letzten Schliff geben. Ich schnappte mir den alten Fighter, lud ihn zum Essen ein, um mir so viel wie möglich von seinem Tonfall anzueignen, und blieb dann die ganze Nacht auf und versuchte, meine Stimme zu perfektionieren.
Am nächsten Morgen war ich bereit. Auf dem Plan stand eine Szene, in der Julie Harris eine Angestellte im Arbeitsvermittlungsbüro spielt und Rivera zu einem Job verhelfen möchte. Es war nicht die Anfangsszene im Drehbuch, aber mein erster Auftritt im Film und daher wichtig für mich. Die erste Aufnehme bedeutet für einen Schauspieler immer den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Egal welche Stimme ich hier verwendete, ich musste sie den ganzen Film durchhalten.
Miss Harris sah mich zunächst an, als ob ich verrückt wäre. Sie muss meine raspelnde Stimme gehört und sich gedacht haben, ich hätte eine akute Kehlkopfentzündung. Bei den Proben hatte ich völlig anders gesprochen. Trotzdem hielt sie durch, und wir spielten die Aufnahme zuende. Als wir fertig waren, kam Ralph Nelson zum Set und fing an zu würgen. Er war nicht der feinste Regisseur der Welt, wie ich noch lernen sollte, und auch nicht der freundlichste Zeitgenosse. Wenn er etwas nicht mochte, gab er sich alle erdenkliche Mühe, es zu zeigen. Im Moment klang es, als würde er kotzen. Das hatte wohl nichts Gutes zu bedeuten, folgerte ich.
„Was ist los, Ralph“, fragte ich. „Hast du was Schlechtes gegessen?“
„Du hast was Schlechtes gesagt“, erwiderte er. „Um genau zu sein, du hast nur Schlechtes gesagt. Wie zum Teufel bist du bloß auf die Stimme gekommen?“
„Durch Abie“, erklärte ich, „er spricht genauso. Und ich hab’ mich entschieden, meinem Charakter diesen Tonfall zu geben. Ich dachte mir, das klingt müde und kaputt, wie eine echte Boxerstimme.“
„Tja, es klingt ziemlich beschissen“, sagte der Regisseur. „Wenn du so sprichst, kann ich keinen Film mit dir drehen. Du bist fast in jeder Szene!“
Da sich Susskind, Gleason und Rooney anlässlich der ersten großen Aufnahmen ebenfalls am Set befanden, blickte ich hilfesuchend zu ihnen hinüber. Gleason drehte sich weg; er mochte sich nicht in die Debatte einmischen. Rooney nickte zustimmend, nur Suskind brachte seine Begeisterung zum Ausdruck. „Du hast mich zwar ziemlich erschreckt, Tony“, meinte er, „aber mir gefällt es.“
Leider gefiel es Ralph Nelson gar nicht, und wie sich zeigte, war auch Gleason keineswegs begeistert. Susskind wollte es auf einen Test ankommen lassen. Er gab uns für den Rest des Vormittags frei und bat die Hauptdarsteller, nach dem Essen wieder zusammenzutreffen, damit wir uns die Muster ansehen konnten. Dann würden wir entscheiden, was mit meiner Stimme passierte.
Das war eine demokratische Lösung, und ich bewunderte Susskind, dass er sich seinem Regisseur gegenüber behauptete. Produzenten haben viel zu oft Angst, die von ihnen engagierten, empfindlichen Künstler aufzuregen, besonders in den frühen sechziger Jahren, aber Susskind war ein vernünftiger Mensch, der auch bei anderen Vernunft voraussetzte. Nun musste er eben einem sturen Regisseur ein Quentchen davon abverlangen.
Susskind schickte den Film ins Labor und rief uns nach dem Mittagessen in den Vorführraum. Ich betrachtete mich nicht gern auf der Leinwand, und mir Muster durch die Augen meiner Kollegen anzusehen, bereitete mir noch größeres Unbehagen. Ich wusste nie, ob ich mir den Film oder die Leute im Vorführraum anschauen sollte. An diesem Tag suchte ich mir Mickey Rooney aus und beobachtete ihn beim Beobachten der Szene. Da er der beste Schauspieler von uns war, hielt ich seine Reaktion für entscheidend. Als er am Schluss zu klatschen anfing, war ich sicher, dass sich meine Mühe gelohnt hatte.
Susskind stand auf und wandte sich an den Regisseur. „Also schön, was meinst du?“ fragte er.
„Ich weiß nicht“, sagte Nelson. „Mir gefällt es immer noch nicht. Ich weiß es einfach nicht.“
„Das solltest du aber verdammt noch mal wissen“, brüllte Susskind, „weil wir nämlich in einer Stunde wieder am Set sind, und wenn du es nicht weißt, dann lass ich eben Tony Quinn den Film drehen.“
Es herrschte entsetztes Schweigen. Nelson rutschte auf seinem Sessel hin und her. „Na gut“, sagte er schließlich, „wahrscheinlich muss ich mich einfach daran gewöhnen.“
Der Sieg führte jedoch zum nächsten Kampf. Es hätte durchaus eine intellektuelle Auseinandersetzung sein können, aber ich konnte mir nicht sicher sein.
…