Zero Mostel und Molière

Es ist ein Jammer, dass der Vollblutkomödiant Zero Mostel (1915-1977) in seinem professionellen Leben (soweit ich weiß) niemals Molière gespielt hat. Aufzeichnungen existieren davon jedenfalls nicht. Immerhin fiel den Titelgrafikern einer Molière-Leseausgabe für Schüler (1963) auf, wie gut Autor und Akteur zusammengepasst hätten. Offensichtlich wurde ein Broadway-Bühnenfoto vom Vorjahr dazu verwendet, das Zero Mostel in seiner Hauptrolle in „A Funny Thing Happened On The Way To The Forum“ zeigt.

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Warum Politiker so schnell altern

Im aktuellen „Spiegel“ wird der Neurowissenschaftler Emmanuel Mignot auf historische Persönlichkeiten angesprochen, die mit sehr wenig Schlaf auskamen. Die 8-Studen-Schlaf-Regel für alle sei in der Tat Unsinn, bestätigt er. Menschen brauchten unterschiedlich viel Schlaf. Sie entwickelten aber auch Taktiken. Zu Angela Merkel, die selbst 35stündige Sitzungen durchgehalten hat, sagt Mignot: „Ich bin mir sicher, dass Merkel in diesen 35 Stunden müde war. Wenn man sie da herausgenommen und auf einen Stuhl gesetzt hätte, wäre sie in Sekunden eingeschlafen. Menschen in einem solchen Amt leben in einem permanenten Zustand des Schlafentzugs. Und war viele von ihnen gut können, ist einzuschlafen, sobald sie eine kleine Pause haben, also zum Beispiel im Flugzeug sitzen. Sie holen den Schlaf einfach nach. Aber das heißt nicht, dass sie in den langen Wachphasen nicht müde wären.“
Der recht sportliche ehemalige Außenminister Klaus Kinkel hat in einem Interview nach seinem Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst interessante Details zu dieser Technik verraten. Er habe wie fast alle seine Amtskollegen die unvermeidlichen Steh-Empfänge für Nickerchen genutzt, während Reden gehalten werden, während derer man selbst sich nicht zu bewegen braucht und weitgehend unbeobachtet ist. Sei es denn nicht schwer gewesen, unbemerkt im Stehen zu schlafen, noch dazu mit Sektglas in der Hand? Nein, das könne man trainieren, sagte Kinkel. Viel schwieriger sei das diskrete Wieder-Wachwerden. Es muss genau zur rechten Zeit passieren – zum Ende der Ansprache, kurz bevor der Applaus einsetzt – und man dürfe dabei nicht zucken oder hochschrecken. In so einem Moment nicht zu grunzen oder mit den Kopf zu wackeln, das sei hier die große Kunst.

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„Gottes Brot und Teufels Aufstrich“ (72)

Eine Graphic Novel von Monty Arnold
mit Zeichnungen von Stefan Sombetzki

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Von Politik ein andermal

betr.: 96. Geburtstag von Mort Sahl (†)

Mort Sahl war eine Legende der sich in den USA zur volkstümlichen Kunstform entwickelnden Stand-up-Comedy.* Woody Allen schreibt in seiner Autobiographie über ihn und seine Wirkung:

[Anfang der 60er Jahre brachte in der Stand-Up-Szene] jeder (…) politische Witze. Das war das Negative an der ungeheuren Popularität von Mort Sahl. Mort war ein Genie und machte eine Menge einmalig guter Gags mit politischem Bezug, und Tausende von weniger Begabten glaubten, sie könnten das auch. Ein paar konnten es tatsächlich, die meisten aber nicht.
Die anderen waren einfach Komiker, die auf der politischen Schiene unterwegs waren, während Mort ein aus tiefstem Herzen politischer Mensch war, redegewandt und stets bestens informiert. Aber vor allem lag es an Morts überwältigender Persönlichkeit, und die hatten andere einfach nicht. Er war ein unglaubliches Bühnentalent, so begabt, dass die anderen darüber nur Negatives zu sagen hatten: „Er kommt ja nur raus und redet. Kann doch jeder.“ Während andere also Witze mit politischem Bezug machten, mitunter sogar sehr gute, war es bei Mort vor allem seine Persönlichkeit, die das Publikum fesselte.
Witze mit tagesaktuellem Bezug haben den Vorteil, dass die Leute durch die Nachrichten schon im Thema drin sind, man muss nur auf die Bühne kommen und mit ein paar Reizworten einsteigen, schon lachen alle. Aber ich fand Mort eigentlich noch genialer und lustiger, wenn er nichts Politisches machte.
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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2020/08/31/16584/

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Dima spielt auf

betr.: 129. Geburtstag von Dimitri Tiomkin

Viele Jahre lang wurde sich darüber amüsiert, dass ausgerechnet ein Russe der wichtigste Komponist des amerikanischen Edelwestern war. Auch der ST. GEORGE HERALD hat dies verschiedentlich getan und dabei übersehen bzw. ignoriert, dass Tiomkin Ukrainer war. Dieses Detail ist mit ihm gemeinsam in einer Nische versunken, in die ich bei dieser Gelegenheit ganz herzlich einladen möchte.
Besser als an das Berliner Gastspiel den ehemaligen Konzertpianisten Tiomkin vor 100 Jahren erinnern wir uns an die Inflation, die noch übler war als unsere heutige. Der Eintrittspreis von 200 Milliarden Mark ist trotzdem imposant …

Die Abbildung stammt von der Homepage des BR, dessen hochinteressanter Programmschwerpunkt „Der Wilde Sound der 20er“ sich dort immerhin nachlesen läasst.

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„It’s All A Question Of Masks – Selbstinszenierung und Modernität bei Noël Coward“ (6)

Fortsetzung vom 29. April 2023

(siehe auch https://blog.montyarnold.com/2023/01/24/noel-coward/)

Tamara Hahn hat vor einigen Jahren in aller Stille ein Buch vorgelegt, das uns in Fragen der Selbsterfindung und Selbstdarstellung ein Leitfaden sein kann – gerade in den Zeiten der Sozialen Medien. Nebenbei ist dies das einzige Buch überhaupt, das in deutscher Sprache über Noël Coward vorgelegt worden ist: „It’s All A Question Of Masks – Selbstinszenierung und Modernität bei Noël Coward“. Am Beispiel dieses Universal-Künstlers, der vor etwa 100 Jahren den modernen Prominenten im Selbstversuch quasi erfunden hat, erfahren wir allerlei Erstaunliches zum Thema Medienkompetenz. Es handelt sich um eine Dissertation von 2002, die der Lit Verlag Münster 2004 veröffentlicht hat und die noch immer erhältlich ist. Die Autorin hat mir gestattet, diesen bereichernden Text hier als Serie wiederzugeben, wofür ich mich ganz herzlich bedanke.

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Tierhaargespräche

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Was ist Lifeness?

„Lifeness“ bezeichnet im heutigen Sprachgebrauch etwa die einvernehmliche Illusion, eine Performance emotional mitzuerleben, obwohl wir wissen, dass wir nicht dabei waren – vergleichbar mit der Bereitschaft, sich von einem Kunstwerk fesseln zu lassen, dass wir lediglich lesen / hören / anschauen. Der Medien- und Kulturwissenschaftler Philip Auslander fasste diesen Life-on-Tape-Effekt, der mit Telefon und Radio begann und in der Ära der Podcasts eine neue Blütezeit erlebt, in einem Vortrag so zusammen: „Bei Live-Aufnahmen teilt das Publikum weder den zeitlichen Abschnitt noch den physischen Ort mit dem Performer. Es erlebt die Performance später und in der Regel an einem anderen Ort denn jenem, an sie stattfindet. Das Lifeness-Erlebnis, das aus dem Hören oder Sehen der Aufnahme resultiert, ist in erster Linie eine Frage des Affekts. Life-Aufnahmen ermöglichen dem Zuhörer eine sinnliche Teilnahme an einer spezifischen Darbietung. Der Begriff ‚Lifeness‘ ist in bezug auf eine aufkommende Technologie artikuliert worden.  Und dieser Prozess setzt sich entsprechend dem technologischen Fortschritt fort. Online-Lifeness bedeutet die Co-Präsenz über Radio-Maßstäbe hinaus, von kleinen Gruppen in Chatrooms bis zu einem riesigen internationalen Publikum, um sich Nachrichten auf größeren Websites mitzuteilen. Mittlerweile ist das Wort ‚Lifeness‘ auch eine Bezeichnung für eine Verbindung und Interaktion mit nicht-menschlichen Akteuren geworden. Feedback ist in einem breiteren Sinne die Fähigkeit der Maschine, Zeichen zu geben oder Input sofort zu beantworten. Eine Maschine, die mit dem Internet-User interagiert, kann – wenn auch auf dieser minimalen Ebene – ein Gefühl von Lifeness hervorbringen wie auch einer subjektiven Begegnung mit einer Persönlichkeit.“

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Der Song des Tages: „London Is London“

betr.: Krönung von König Charles III.

Im 1969er Musical-Remake der Literaturverfilmung „Goodbye, Mr. Chips“ darf Peter O’Toole unserem Bild des steifen aber liebenswerten britischen Gentleman Zunder geben. Überraschenderweise verliebt sich der Held in ein Mädchen vom Theater, schlimmer noch: vom Vaudeville. Das geschieht, als er sich Petula Clark in der Musik Hall anschaut. Sie singt „London Is London“, und diese schmissige und wirklich anrührende Liebeserklärung an die Stadt an der Themse wirkt nach und trägt die folgende Romanze, ohne im Soundtrack zitiert zu werden.


Die Camp-Exzesse, die sich während der Darbietung des Songs an Umbauten und Kostümwechseln auf der Bühne abspielen, wären in der Realität natürlich nicht zu leisten.
Entsprechend eingeschrumpft wirkt der Song, als er 20 Jahre später tatsächlich den Weg auf die Bühne findet: eingebettet ins Sherlock-Holmes-Musical von Leslie Bricusse, der (unterstützt von John Williams) den Soundtrack für „Goodbye, Mr. Chips“ geschrieben hat. „London Is London“ wirkt seither wie gerupft. Es ist schade um den schrägen Pomp der Originalfassung. Und um Petula Clark, auf die man diesmal verzichtet hat.

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From Development Hell

„Jeder Beruf ist eine Verschwörung gegen den Laien!“
George Bernard Shaw

Billy Wilders berühmter Ausspruch, man brauche drei Dinge, um einen guten Film zu drehen – nämlich ein gutes Drehbuch, ein gutes Drehbuch, ein gutes Drehbuch – spielt in Hollywood (und überall dort, wo kommerziell gefilmt wird) keine Rolle mehr. Alles ist in unseren Tagen wichtiger als Schlüssigkeit der Handlung, glaubwürdige Figuren, gute (d.h. lebensnah klingende) Dialoge. Wenn sich ein toller optischer Effekt anbietet – und es gibt so viele wie nie zuvor -, dann hat die Logik das Nachsehen. Humor funktioniert auf diese Weise schon gar nicht. Und was bei Vorliegen der „ersten Fassung“ noch an Substanz übrig ist, wird zerredet: von all den handwerksfremden Kräften, die sich außerdem einmischen dürfen: von Fan-Foren und Interessengruppen eingeschüchterte Produzenten, Mit-Produzenten, weitere Geldgeber, Sensitivity-Reader, Marketingleute und andere Gremien-Individuen („Gremlins“ wie sie mal von einem verärgerten deutschen Moderator genannt wurden). Doch nicht jeder, der in der Lage ist, sich vor eine Leinwand zu setzen, kann deswegen ein Drehbuch schreiben oder verbessern.

Man stelle sich vor, irgendein bürgerlicher Beruf (Handwerk, Chirurgie, die sprichwörtliche Kochkunst …) würde von einer solcher Mange ungelernter Kräfte ausgeübt, die alle unterschiedlicher Meinung sind.
Das einzige, was noch darauf verweist, die Branche könnte sich dieser Problematik bewusst sein, ist die Bezeichnung, die sich im Fachjargon für die mehrjährige nervenaufreibende Phase erhalten hat, in der das Drehbuch immer wieder umgefriemelt wird, in der Regisseure abspringen (nachdem sie tüchtig mitgefriemelt haben), Geldgeber das Interesse verlieren und Schauspieler ausgetauscht werden: „Development Hell“, die Hölle der Entwicklungsphase.
Quentin Tarantino ist mittlerweile der einzige, der sich über diese Widrigkeiten weitgehend erhaben fühlen kann. Er selbst spricht sogar davon „der Letzte“ zu sein, „der einmal in Hollywood das Licht ausmachen wird“. Dass seine Filme auch nicht immer glücklich machen, liegt daran, dass auch er längst die Lust verloren hat und seine künstlerische Freiheit gewissermaßen eine Brache ist. (Tarantino: „Ich hab’s hinter mir. … Irgendwann hat man alle Gipfel erstürmt.“*)

Billy Wider würde heute wahnsinnig werden – als Pensionär, nur vom Anschauen der Ergebnisse. Der alte Studio-Vertragsregisseur Jack Arnold, dessen ihn selbst keineswegs befriedigende Karriere mit dem Ende des Studiosystems unterging, hat die Umstände sicher auch aus solchen Gründen verteidigt. Er gestand den alten Filmmoguln zu, dass sie etwas vom Filmemachen verstanden, „obwohl sie keine angenehmen Menschen“ gewesen seien. Natürlich redeten auch sie in manche Produktionen rein, wenn sie es für nötig hielten (besonders in die kostspieligen), aber in der Regel schmierten sie nicht eigenhändig in den Büchern herum. Sie ließen die Autoren ihre Einwände umsetzen, zuweilen durfte auch der Regisseur noch Hand anlegen. Auf keinen Fall konnte das jeder tun, der gerade Lust dazu hatte oder sich einfach aufspielen wollte.

Jetzt, da diese Zeilen geschrieben werden, ist in Hollywood wieder ein Drehbuch-Autoren-Streik im Gange. Angeblich ist deren Bezahlung noch schlechter als die der deutschen Lokführer. Und selbst wenn sie einmal besser wird: der Qualität wird das nicht helfen. Man müsste diese Leute einfach mal ihre Arbeit machen lassen.
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* Interview im „Zeit-Magazin“ Nr 19, 4.5.2023.

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