Tierhaargespräche

geführt von Monty Arnold

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Tucholksy 2023

betr.: Die Niederlande haben gewählt

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Pseudo-amerikanische Befindlichkeiten

Der Kurator und Comic-Spezialist Alexander Braun vollbringt mit seinem neuen Buch „Staying West!“ – dem Katalog zu seiner gleichnamigen Ausstellung – einmal mehr das Kunststück, ein Stück Kulturgeschichte für uns nachvollziehbar zu machen und zugleich etwas Hilfreiches zu einer aktuellen Debatte beizusteuern, die sehr hitzig und auf keinem sehr hohen Niveau geführt wird.
„Staying West!“ ist die Fortsetzung von Ausstellung und Buch „Going West!“*, und wieder wird sich mit der Darstellung der Besiedlung Nordamerikas durch die europäischen Einwanderer beschäftigt, wie sie sich im Comic dargestellt hat. Alexander Braun beweist, dass der Comic sich ab 1920, also „verblüffend früh und bemerkenswert authentisch mit der Kultur der Indigenen auseinandersetzten: zu einer Zeit, als in Hollywood noch skalpiert wurde.“
Er entlarvt die eine oder andere Debatte als gegenstandslos, indem er etwa den Unsinn der kürzlichen Ächtung des Begriffs „Indianer“ (das „I-Wort“) in unserem Sprachgebrauch aufdröselt**. In diesem Zusammenhang wirft Braun auch einen Blick auf die gefeierte Arbeit der Donald-Duck-Übersetzerin Erika Fuchs, ihre Versäumnisse und die heutigen Versuche ihres Verlages, mit dem rasanten Wandel des Sagbaren und momentan Nicht-mehr-Sagbaren umzugehen.

Vieles in dieser Fachpublikation ist grundsätzlich bedenkenswert: „Sprache ist ambivalent und verändert sich mit der Zeit. Das gilt es anzuerkennen, egal, welche Position die eine oder andere Partei vertritt. Sammelbegriffe, die Unterschiede im Detail nicht per se negieren, sondern lediglich im Sinne besserer Kommunikationsfähigkeit für den Moment hintanstellen, sind deswegen auch nicht per se rassistisch. (…) Wenig zielführend (…) ist ein apodiktisches Denken, [mit dem] die Arroganz verbunden ist, zu glauben, dass unser heutiges Denken und handeln unangreifbar wäre und für alle Ewigkeit Bestand habe – die Geschichte lehrt uns etwas anderes -, verstellt jede Falsch/Richtig-, Böse/Gut-Rigorosität den Blick auf Dynamiken und Prozesse.“
Derlei Kulturkampfdebatten sind vor allem deshalb so beliebt, „weil so von den eigentlichen Problemen abgelenkt wird. Wer sich in den Elfenbeinturm begibt, um dort verzehrende Kulturelle-Aneignungs-Debatten zu führen, hat am Ende des Tages keine Kraft mehr, um für gerechten Lohn, für Zugang zu sauberem Trinkwasser und gegen Klima- und Ernährungsprobleme zu kämpfen.“

NICHT aus dem besprochenen Band: Strip aus „Alwis: Aweile Awwer“ von Schnorres und Schmitt (Selbstverlag 1988).

Die Ausstellung „Staying West!“ findet noch bis zum 03. April 2024 im „Schauraum Comic + Cartoon“ in Dortmund statt.
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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2016/01/07/going-west-1-invasion-aus-der-alten-welt/
** Dieses Thema streift der Autor auch in diesem Radiobeitrag: https://www.deutschlandfunkkultur.de/staying-west-der-wilde-westen-im-comic-ausstellung-in-dortmund-dlf-kultur-3ea5caaa-100.html

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Stummfilm-Stunts nach Sennett

Mack Sennett, der als Schauspieler bei D. W. Griffith angefangen hatte, wurde schließlich von diesem dazu abgestellt, sich um die Inszenierung der komischen Filme zu kümmern, die Griffith unter seinem Logo mit anbieten wollte.
In der Folge stieg Sennett – nur wenig vereinfacht gesagt – zum Erfinder des filmischen Slapstick auf und definierte gemeinsam mit den britischen Vaudeville-Komikern, die er bevorzugt engagierte, die Motorik der physischen Comedy aus. Die auch nach heutigen Gesichtspunkten eindrucksvollen Leistungen der Darsteller in puncto Timing, Kraft, Gelenkigkeit, Akrobatik und Körperbeherrschung wurden durch den Zappeleffekt der noch von Hand gekurbelten Kameras und Projektoren in ihrer komischen Wirkung noch verstärkt.

Die wichtigsten Varianten der Königsdisziplin – des Sturzes (“Buster”) – lassen sich so zusammenfassen:

Es gab den altmodischen Pratfall, bei dem man entweder mit einem Plumps auf dem Hintern landete [1a] oder einen vor den Kopf bekam und auf den Rücken fiel [1b].

Wenn man nicht schwungvoll genug fiel, sagten die Regisseure: “Ich hätte das gern ein bisschen höher!” Dann musste man höher springen.
Beim Stiff  back, ging man die Straße entlang, und dann kam ein Kerl mit einem Besen und schlug einem direkt vor den Kopf. Dabei durfte man die Füße nicht bewegen, und man musste mit den Schultern und den Hacken gleichzeitig auf dem Boden aufschlagen [2].

Außerdem gab es noch den 108, die “alte Art zu fallen”. Man kommt die Straße hinunter, tritt auf eine Bananenschale, fliegt flach durch die Luft und landet [3]. Je flacher man landete, desto besser, denn die Landung durfte nicht nur auf einem Punkt erfolgen.

Wenn man diese drei grundlegenden Arten zu fallen nicht beherrschte, konnte man nicht in Komödien mitspielen. Selbst die Mädchen beherrschten sie.

Selbstverständlich machte sich in jenen Tagen niemand die Mühe, den Untergrund des geplanten Aufpralls zu polstern – weder die Regisseure noch die Bühnenmeister noch der Komiker selbst. Das ruinierte im Laufe der Zeit die Gesundheit. Der schmerzgeplagte Jerry Lewis – jener Filmkomiker, der die klassischen Sturz-Techniken am konsequentesten in den Tonfilm hinüberrettete – hat im Alter öffentlich bereut, so unbedacht gewesen zu sein.

Auszug aus dem Essay „Humor Omnia Vincit“

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Das schönste Hitchcock-Buch seit Donald Spoto

betr.: „How To Hitchcock“ von Jens Wawrczeck

Schon im Vorwort gibt Jens Wawrczeck das Offensichtliche zu: „Ich kenne keinen Regisseur, über den mehr Biographien veröffentlicht und dessen Filme häufiger analysiert wurden. (…) Sucht man im Netz nach ‚Hitchcock‘, ertrinkt man in einem Meer von Einträgen.“
Als jemand, der die meisten dieser Bücher und unzählige der Artikel gelesen hat, als jemand, der Jens‘ künstlerische Arbeit persönlich sehr schätzt und der darüberhinaus seine Hitchcock-Begeisterung teilt, bin ich vielleicht gar nicht so geeignet, „How To Hitchcock“ zu beurteilen. Andererseits glaube ich, dass dessen Vorzüge auch vielen der „Ertrinkenden“ zugutekommen müssten, die aus einer ganz anderen Richtung kommen.

Was dieses Buch, das ich mit Vergnügen in einem Rutsch gelesen habe, tatsächlich den bisherigen Hitchcock-Exegesen hinzuzufügen hat, ist das Eingehen auf die Rolle, die die literarischen Vorlagen im Werk des Regisseurs gespielt haben. Auch der deutsche Blickwinkel kommt sonst üblicherweise zu kurz.
Wir werden in eine Zeit mitgenommen, als es zwar noch keine Videos und Mediatheken, aber ein wirklich reichhaltiges Filmprogramm im Fernsehen gab. Als jemand, der nur wenige Jahre jünger ist, gelang es mir innerhalb von etwa fünf Jahren, fast alle Hitchcockfilme abzuwarten und mitzuschneiden – und mit den Werken anderer Regisseure war es ähnlich.

Das Buch ist nicht nur ein hilfreicher „Home Compagnion“ für alle Hitchcock-Einsteiger (der auch Kritik nicht ausspart). Es hat auch ein paar wundervolle Subtexte, die ich als Außenstehender umso deutlicher entziffern konnte. So erzählt es sehr anrührend, wenn auch ohne jeden Kitsch, vom unschätzbaren Wert eines liebevollen Elternhauses und von den Qualitäten einer Heimatstadt, die sich einmal mehr großzügig als weit geöffnetes Tor zur Welt erwiesen hat.


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Tierhaargespräche

geführt von Monty Arnold

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Die schräge Überfliegerin

betr.: 49. Todestag von Ursula Herking, 10. Todestag von Dieter Hildebrandt (in drei Tagen)

Als die Memoiren von Ursula Herking 1973 erschienen, dachte man bei deren Titel „Danke für die Blumen“ noch nicht an „Tom und Jerry“.
Beim Lesen solcher Biographien könnte man auf die Idee kommen, es müsste früher viel einfacher gewesen sein, Karriere zu machen oder bei Großereignissen mitzumischen. Ganz falsch ist dieser Eindruck sicher nicht: nach dem Krieg waren Gründungen späterer Institutionen an der Tagesordnung.
Im Falle des prominentesten deutschen Kabarett-Ensembles der Bonner Republik – wir sind ungefähr im Jahre 1956 – lief das in der Erinnerung von Frau Herking so ab:

Sammy Drechsel, Tausendsassa und Spürnase, kam eines Tages zu mir und sagte: „Ulla, hast du Lust, ein neues Kabarett mitzubegründen?“ Erst einmal sagte ich: „Nee.“ Ich hatte nämlich bei Trude [Hesterberg] aufgehört, dieses mal nicht im unguten, aber nach drei Programmen wollte ich mal wieder Theater spielen. Dann meinte er aber verschmitzt: „Wenn du mitmachst, dann macht der Dieter Hildebrandt auch mit.“ – Zu Dieter hatte er gesagt: „Die Herking macht mit.“ Das haben wir erst hinterher herausbekommen.
Ich sagte: „Hör zu, Sammy, ich möchte so gerne mal eine Art Chanson oder einen Sketch bringen, in dem eine Mutter einen Brief an ihre Tochter schreibt. Wenn Dieter das macht, mache ich mit.“ Dieter machte es, und dann brauchten wir noch weitere neunzehn Nummern.
Außerdem brauchten wir noch zwei Kabarettisten. Das einzige, was wir, dank Sammys Verhandlungskunst, immerhin hatten, war der Raum. Da wo er heute noch ist, in Schwabing, Haimhauser-, Ecke Ursulastraße. Eine gemütliche Kneipe. Sie gehörte Fred Kassen. Sammy machte zunächst einmal Fred zum musikalischen Leiter, dann kriegte er Klaus Havenstein herum, auch mitzumachen. Klaus Peter Schreiner, Oliver Hassencamp und Max Colpet*, und natürlich Dieter Hildebrandt selber, schrieben die Texte.
Einen Namen für unser neues Kabarett hatten wir auch noch nicht.
Wir beschlossen, mit dem vielen Kostümwechsel, der lästigen Umzieherei, aufzuhören, alle Nummern in einem gefälligen Einheitskostüm zu bringen und die Figur, die wir darzustellen hatten, nur durch kleine Veränderungen anzudeuten. Dazu gehörten Schwerter, Zylinder und ein Frackumhang, Sträuße aus künstlichen Blumen und vielerlei Krimskrams …
Nur einen dritten Mann hatten wir immer noch nicht.
Da fiel Ully „Dietsch“ ein. Hans Jürgen Diedrich war bei den „Amnestierten“ gewesen, trieb sich gerade in Paris herum, wie wir vermuteten ohne Geld. Wir riefen ihn dort an. „Wenn ihr mir die Reise zahlt, komme ich.“
Unser „neuer Stil“, den wir uns ausgedacht hatten, nämlich alles so zu spielen, als ob es uns in diesem Augenblick einfiele, geriet sehr oft ins Schwanken, da ja gerade diese Art des Spielens verlangt, dass man „über dem Text steht“, sich’s also leisten kann, gelegentlich mal ein witziges, aktuelles Aperçu einzufügen – aber wem fallen schon in einem gähnend leeren, in diffuses Tageslicht getauchten Lokal witzige Aperçus ein?
Unsere Bühne war so groß wie ein Handtuch. Das ist sie heute noch. Man kann nur von links oder rechts auf- oder abtreten, und dabei muß man jedesmal durch die Küche rasen. Die „Bühnenausstattung“ bestand darin, daß die Wand hinter der Handtuchbühne hellgrün gestrichen war.
Bei den letzten Proben saß Oliver Hassencamp drin, ja, er lachte sogar, was waren wir dankbar! Nennt es doch „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“, meinte er.

Ursula Herking, die dies erzählt, hat in unseren Mediatheken und Wiederholungsschleifen heute vor allem als Schreckschraube in einigen Rudi-Carrell-Sketchen überlebt, etwa als muffige Zweiter-Klasse-Stewardess, eine ihrer letzten Arbeiten.
Klaus Peter Schreiner schreibt in seinem Buch über die „Lach- und Schieß“ wiederum über sie:

Mit Ursula Herling, die schon vor dem Dritten Reich in der Berliner „Katakombe“ als Brett’l-Künstlerin hervorgetreten war und die sich dann in UFA-Filmen als vertrottelte Sekretärin verschlissen zu haben schien, mit einer völlig neuen Ursula Herking als komödiantischem Zentrum feierte die „Schaubude“ Triumphe. Die Herking, Deutschlands klassischste und populärste Kabarettistin – „Bonbonniere“, „Kleine Freiheit“ und was sonst noch alles** -, hatte sich mit dem Film „Kinder, Mütter und ein General“ gerade als Charakterschauspielerin profiliert und war kabarettmüde, das wußte man. Also hatte es wohl gar keinen Sinn, bei ihr anzuklopfen.

Wir wissen ja, wie die Geschichte weiterging.
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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2017/07/19/aus-berufenem-munde/
** Siehe Platz 3 des kleinen Rankings: https://blog.montyarnold.com/2015/07/29/die-wiedergefundene-textstelle-erich-kaestners-alles-ueber-eva/

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Was hilft bei „Kreativer Erschöpfung“?

Was ist „kreative Erschöpfung“? „Kreativ erschöpft“ kann man tatsächlich von kreativer Arbeit sein, aber auch davon, dass man den Genuss der kreativen Arbeit anderer versäumt hat (bzw. davon, es auf die falsche Weise und mit den unpassenden kulturellen Erzeugnissen Erholung getan zu haben). Wie wichtig mußevoller Kunstgenuss oder eine bewusst gewählte Mediennutzung sind, empfiehlt schon die Logik: kulturelle Genüsse sind die Freuden, über die wir eine gewisse Kontrolle übernehmen können – im Gegensatz zu erfüllter Liebe, gutem Sex oder dem spontanen Aufsuchen exotischer Reiseziele!

Im aktuellen „Spiegel“ zählt die Ärztin Saundra Daunton-Smith sechs Varianten der Ermüdung zu einem Gesamtbild zusammen: „Erholungsdefizite können auf körperlicher, mentaler, spiritueller, emotionaler, sozialer, sensorischer und kreativer Ebene auftreten. Wir erschöpfen uns beispielsweise emotional, wenn wir unsere Gefühle nicht authentisch ausdrücken können, etwa weil wir als Ärztin oder Lehrkraft eine Rolle einnehmen, die es nicht immer erlaubt, Gefühle spontan auszudrücken. Körperlich erschöpfen wir uns dann, wenn wir viele Stunden am Tag angespannt vor dem Computer sitzen oder schwer heben. Es kostet uns mentale Energie, wenn wir dem Gehirn permanent Konzentration abfordern. Die Informationsflut, Lichtreize oder Lärm überlasten uns sensorisch. In unserem heutigen Alltag erschöpfen wir uns über den Tag hinweg in fast jedem Bereich.“
Das Arbeiten nach festen Vorgaben, wie es im Berufsleben beinahe obligatorisch ist, verursacht etwa das erwähnte kreative Energiedefizit. Schon durch das Betrachten von Kunstwerken im Flur des Arbeitsplatzes könne man „automatisch kreative Energie“ tanken. Es kann uns aber auch verdeutlichen, wie wichtig und wie viel effektiver es ist, in der verbleibenden Zeit selbst und ganz bewusst für einen persönlichen Kunstgenuss zu sorgen (für einen Genuss, bei dem der Algorithmus nicht mitentscheidet).
Ansonsten hilft auch Meditieren, „also Ihre Gedanken zu betrachten, ohne sie zu bewerten“.

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In den Seilen

Betr.: 61. Jahrestag der Erstausstrahlung von „Requiem For A Heavyweight“ (morgen)

Rod Serling* ebnete den Weg zu seiner Karriere als einer der wichtigsten Autoren des frühen US-amerikanischen Fernsehens (in dem fiktionale Stoffe noch live gespielt wurden) mit einer Reihe preisgekrönter Fernsehspiele, die uns heute nicht einmal mehr dem Namen nach geläufig sind. Der Schauspieler Anthony Quinn schildert in seiner Autobiographie „Ein-Mann-Tango“, wo er in diesem Repertoire seinen Platz hat. Er spricht dabei auch über das Finden und Durchhalten der Stimme einer Figur.

Sam Spiegel besorgte mir den Part des abgehalfterten Boxers Mountain Rivera in „Die Faust im Gesicht“, der Spielfilmadaption von Rod Serlings Fernsehklassiker] „Requiem For A Heavyweight“ (1962) aus der Reihe] „Playhouse 90“. Neben mir spielten in den Hauptrollen Jackie Gleason, Mickey Rooney und Julie Harris.
Es war eine pikante Rolle, die, wie ich inzwischen finde, zu meinen besseren Leistungen zählt, obwohl ich mir am Anfang Sorgen machte, ich könnte nur einen abgedroschenen Auftritt liefern. Ich bemühte mich, meine Darstellung von den grobschlächtigen Klischees zu befreien, die man in den meisten Boxerfilmen antrifft, und statt dessen das Portrait eines geschlagenen Mannes zu zeigen, der nicht mehr ein noch aus weiß. Doch meine anfänglichen Versuche blieben erfolglos.
Während der Proben arbeitete ich meinen Charakter ständig um und versuchte ihn richtig hinzubekommen. Einen Tag spielte ich Rivera als brutalen Rüpel, am nächsten als liebe, aber längst vergangene Größe. Niemand schien mein Ringen mit der Rolle wahrzunehmen oder sich dafür zu interessieren. Der Regisseur Ralph Nelson, der auch die Fernsehfassung realisiert hatte, war mit ein paar komplizierten Aufbauten beschäftigt. Gleason und Rooney hatten mit ihren eigenen Charakteren zu tun. Und der Produzent David Susskind versuchte von früh bis spät, alles zusammenzuhalten.
Am Tag bevor meine erste Szene gedreht werden sollte, hatte ich mich immer noch nicht entschieden, wie ich die Rolle nun spielen würde. An Ideen fehlte es nicht, aber irgendwie stimmte alles nicht so recht. Als ich schließlich mit Abie Bain, einem unserer Experten für die Boxszenen, noch ein letztes Mal eine Boxsequenz trainierte, hörte ich plötzlich auf der anderen Seite des Rings genau die Stimme, die ich haben wollte. Abie Bain war ein großer Halbschwergewichtler gewesen. Er hätte es womöglich zum Champion gebracht, nur ließ er sich nie von der Mafia vereinnahmen und schaffte es deshalb nie bis an die Spitze. Seine Stimme war ein heiseres Krächzen, so als wäre man ihm ein paarmal zu oft an die Gurgel gegangen. „Tony“, keuchte er, als wir es für den Abend gut sein ließen, „Süßer, was’n los?“ Er sprach unheimlich leise; in seiner Stimme lag Kraft, aber auch Schmerz, Unsicherheit und Zärtlichkeit.
Das ist es, dachte ich. Genau das hatte ich gesucht. Abie Bain würde meiner Darstellung von Mountain Rivera den letzten Schliff geben. Ich schnappte mir den alten Fighter, lud ihn zum Essen ein, um mir so viel wie möglich von seinem Tonfall anzueignen, und blieb dann die ganze Nacht auf und versuchte, meine Stimme zu perfektionieren.
Am nächsten Morgen war ich bereit. Auf dem Plan stand eine Szene, in der Julie Harris eine Angestellte im Arbeitsvermittlungsbüro spielt und Rivera zu einem Job verhelfen möchte. Es war nicht die Anfangsszene im Drehbuch, aber mein erster Auftritt im Film und daher wichtig für mich. Die erste Aufnehme bedeutet für einen Schauspieler immer den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Egal welche Stimme ich hier verwendete, ich musste sie den ganzen Film durchhalten.
Miss Harris sah mich zunächst an, als ob ich verrückt wäre. Sie muss meine raspelnde Stimme gehört und sich gedacht haben, ich hätte eine akute Kehlkopfentzündung. Bei den Proben hatte ich völlig anders gesprochen. Trotzdem hielt sie durch, und wir spielten die Aufnahme zuende. Als wir fertig waren, kam Ralph Nelson zum Set und fing an zu würgen. Er war nicht der feinste Regisseur der Welt, wie ich noch lernen sollte, und auch nicht der freundlichste Zeitgenosse. Wenn er etwas nicht mochte, gab er sich alle erdenkliche Mühe, es zu zeigen. Im Moment klang es, als würde er kotzen. Das hatte wohl nichts Gutes zu bedeuten, folgerte ich.
„Was ist los, Ralph“, fragte ich. „Hast du was Schlechtes gegessen?“
„Du hast was Schlechtes gesagt“, erwiderte er. „Um genau zu sein, du hast nur Schlechtes gesagt. Wie zum Teufel bist du bloß auf die Stimme gekommen?“
„Durch Abie“, erklärte ich, „er spricht genauso. Und ich hab’ mich entschieden, meinem Charakter diesen Tonfall zu geben. Ich dachte mir, das klingt müde und kaputt, wie eine echte Boxerstimme.“
„Tja, es klingt ziemlich beschissen“, sagte der Regisseur. „Wenn du so sprichst, kann ich keinen Film mit dir drehen. Du bist fast in jeder Szene!“
Da sich Susskind, Gleason und Rooney anlässlich der ersten großen Aufnahmen ebenfalls am Set befanden, blickte ich hilfesuchend zu ihnen hinüber. Gleason drehte sich weg; er mochte sich nicht in die Debatte einmischen. Rooney nickte zustimmend, nur Suskind brachte seine Begeisterung zum Ausdruck. „Du hast mich zwar ziemlich erschreckt, Tony“, meinte er, „aber mir gefällt es.“
Leider gefiel es Ralph Nelson gar nicht, und wie sich zeigte, war auch Gleason keineswegs begeistert. Susskind wollte es auf einen Test ankommen lassen. Er gab uns für den Rest des Vormittags frei und bat die Hauptdarsteller, nach dem Essen wieder zusammenzutreffen, damit wir uns die Muster ansehen konnten. Dann würden wir entscheiden, was mit meiner Stimme passierte.
Das war eine demokratische Lösung, und ich bewunderte Susskind, dass er sich seinem Regisseur gegenüber behauptete. Produzenten haben viel zu oft Angst, die von ihnen engagierten, empfindlichen Künstler aufzuregen, besonders in den frühen sechziger Jahren, aber Susskind war ein vernünftiger Mensch, der auch bei anderen Vernunft voraussetzte. Nun musste er eben einem sturen Regisseur ein Quentchen davon abverlangen.
Susskind schickte den Film ins Labor und rief uns nach dem Mittagessen in den Vorführraum. Ich betrachtete mich nicht gern auf der Leinwand, und mir Muster durch die Augen meiner Kollegen anzusehen, bereitete mir noch größeres Unbehagen. Ich wusste nie, ob ich mir den Film oder die Leute im Vorführraum anschauen sollte. An diesem Tag suchte ich mir Mickey Rooney aus und beobachtete ihn beim Beobachten der Szene. Da er der beste Schauspieler von uns war, hielt ich seine Reaktion für entscheidend. Als er am Schluss zu klatschen anfing, war ich sicher, dass sich meine Mühe gelohnt hatte.
Susskind stand auf und wandte sich an den Regisseur. „Also schön, was meinst du?“ fragte er.
„Ich weiß nicht“, sagte Nelson. „Mir gefällt es immer noch nicht. Ich weiß es einfach nicht.“
„Das solltest du aber verdammt noch mal wissen“, brüllte Susskind, „weil wir nämlich in einer Stunde wieder am Set sind, und wenn du es nicht weißt, dann lass ich eben Tony Quinn den Film drehen.“
Es herrschte entsetztes Schweigen. Nelson rutschte auf seinem Sessel hin und her. „Na gut“, sagte er schließlich, „wahrscheinlich muss ich mich einfach daran gewöhnen.“
Der Sieg führte jedoch zum nächsten Kampf. Es hätte durchaus eine intellektuelle Auseinandersetzung sein können, aber ich konnte mir nicht sicher sein.

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„It’s All A Question Of Masks – Selbstinszenierung und Modernität bei Noël Coward“ (24)

Fortsetzung vom 2. November 2023

(siehe auch https://blog.montyarnold.com/2023/01/24/noel-coward/)

Tamara Hahn hat vor einigen Jahren in aller Stille ein Buch vorgelegt, das uns in Fragen der Selbsterfindung und Selbstdarstellung ein Leitfaden sein kann – gerade in den Zeiten der Sozialen Medien. Nebenbei ist dies das einzige Buch überhaupt, das in deutscher Sprache über Noël Coward vorgelegt worden ist: „It’s All A Question Of Masks – Selbstinszenierung und Modernität bei Noël Coward“. Am Beispiel dieses Universal-Künstlers, der vor etwa 100 Jahren den modernen Prominenten im Selbstversuch quasi erfunden hat, erfahren wir allerlei Erstaunliches zum Thema Medienkompetenz. Es handelt sich um eine Dissertation von 2002, die der Lit Verlag Münster 2004 veröffentlicht hat und die noch immer erhältlich ist. Die Autorin hat mir gestattet, diesen bereichernden Text hier als Serie wiederzugeben, wofür ich mich ganz herzlich bedanke.

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