betr.: Jens Wawrczeck hat aus der Romanvorlage zu Alfred Hitchcocks „Psycho“ ein Hörbuch gemacht.
Machen wir uns nichts vor: all die „Unsterblichen“ des Kinos sind heute vergessen (abgesehen vielleicht von der Monroe), und kein heute 30jähriger kann noch einen einzigen „Klassiker“ nennen, der deutlich vor seiner eigenen Lebensspanne gedreht wurde. Ohne „Psycho“ wäre selbst Alfred Hitchcock nicht der geflügelte Name, der er heute ist. „Psycho“, dieser unverwüstliche Kultfilm in einem prallen Repertoire aus verdienten Erfolgen und historischen Leistungen, ist der Reißnagel, der Hitch in der heutigen schnelllebigen Popkultur befestigt. Ohne ihn hätte sie seinen Regisseur längst ebenso gründlich fallenlassen wie sie es längst mit Billy Wilder und Orson Welles gemacht hat. Was „Vertigo“ den Cineasten ist, das ist „Psycho“ der wirklichen Welt. Ausgerechnet der einzige Horrorfilm im Werk des „Master of Suspense“ (was mit „Meister der Spannung“ nur nachlässig übersetzt ist), dieses mit kleinem Budget und leichter Hand wie ein Fernsehfilm produzierte Zwischenwerk, hat all die Worte, Bilder, Typen und Töne in die Welt gesetzt, die der heutige Mediennutzer braucht, um sich eines so uralten Filmes (und seines Schöpfers) zu erinnern, der überdies in Schwarzweiß gedreht wurde.

„Psycho“ brachte uns den Duschenmord mit der Jingle-tauglichen Musik von Bernard Herrmann, die Mumien-Mutter mit dem Messer, diese Schlusspointe, die inzwischen jeder kennt und die trotzdem das Vergnügen, diesen Film immer wieder mit knisternder Gänsehaut anzuschauen, nicht spoilert. Und er schenkte uns Norman Bates, den hinreißenden jugendlichen Psychopathen, der dem hoffnungsvollen und bis dato überaus vielseitigen Anthony Perkins die Rolle verpasste, von der er fortan nicht mehr loskam. Wie schon in „Marnie“ (der Folge 4 dieser Hörbuchreihe), hat Hitchcock auch diese männliche Hauptfigur etwas jünger und einnehmender gestaltet als es die Vorlage angelegt hatte. Das reale Vorbild war umso finsterer: Ed Gein war ein nekrophiler Transvestit, der nicht die Kleider seiner Opfer anzog, sondern gleich ihre Haut. Und später das Vorbild für weitaus grauenvollere Ikonen des Kinos: neben „Leatherface“ aus dem „Texas Chainsaw Massacre“ und „Buffalo Bill“ aus „Das Schweigen der Lämmer“ ist Norman Bates eine geradezu poetische Figur. Und doch steht „Psycho“ noch immer erhobenen Hauptes in einer Reihe mit unseren Zeitgenossen.
„Psycho“ ist eine solche Energiequelle der Inspiration, dass sogar seine Fortsetzung – zwei Jahre nach Hitchcocks Tod herausgekommen und ihrerseits der Startschuss für eine Unzahl von schwächeren, aber wirkungsvollen Nach- und Neuerzählungen – ein beachtlicher Film geworden ist. Er wartet mit einem Anthony Perkins auf, der wirklich aussieht, als hätte er die 22 Jahre unterdessen in einer Irrenanstalt verbracht. Und wir sind begierig, das Psycho-Haus ein weiteres Mal zu betreten – und die Winkel und Räume zu besichtigen, auf die wir zuvor keinen Blick erhaschen konnten. Nur einer freute sich nicht darüber: der ansonsten begeisterte Kritiker des „Tip“ klagte, dass „die durch allzu perfektes ‚Remake‘ der Hitchcock’schen Kulisse aufkommenden Erinnerungen an dessen Meisterwerk manchem herzlichen Lacher einfach im Wege stehen.“
Stimmt ja – witzig ist „Psycho“ auch noch. Vor allem, wenn man ihn zum zweiten Mal sieht.