Mafalda und der Wilde Westen

betr.: „Staying West!“ von Alexander Braun*

Fortsetzung vom 27.112023

„Mafalda“ von Quino, der weltweit populärste argentinische Comic-Strip.

Neben dem Szenaristen Héctor Germán Oesterheld ist Quino vermutlich der hierzulande bekannteste argentinische Comic-Künstler. (Guillermo Mordillo, der beliebte Argentinier in Paris, war ein Cartoonist.) Da er den Western als Genre nicht bespielte (der abgebildete Strip ist eine Ausnahme und stammt aus meinem privaten Einklebe-Album), spielt Quino in „Staying West!“* keine Rolle, wird aber im Kapitel über Argentiniens kurzes Goldenes Comic-Zeitalter mit aufgeführt.
Im besagten Kapitel habe ich mehr über die Geschichte Argentiniens gelernt als in zehn Jahren Grund-, Realschule und Gymnasium. Daneben noch einiges über die Print-Medienlandschaft der frühen Bundesrepublik – und natürlich über die Indianerkriege.
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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2023/11/21/staying-west/

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Unnützes Wissen zum Tode von Henry Kissinger

In den Jahren zwischen seinen beiden Ehen (1964 bis 1974) gönnte sich Henry Kissinger eine Reihe medienwirksamer Affären. (Aus dieser Zeit stammt sein berühmter Ausspruch, dass Macht das beste Aphrodisiakum sei.) Rückblickend erscheint die Liste der Damen seiner Wahl – mehrheitlich Personen des kulturellen bzw. medialen Lebens – wie eine geschickte Maßnahme, um sich auch in den Ressorts jenseits des Politik-Teils zu verankern.

Persönlich zum Leinwandhelden aufgestiegen ist Henry Kissinger kaum. Immerhin: in Oliver Stones überlangem Kolportage-Porno „Nixon“ durfte er nicht fehlen.
Der Titelheld, Kissingers Chef und US-Präsident Richard Nixon, wurde von einem fehlbesetzten Charakterdarsteller verkörpert. Anthony Hopkins war wenige Jahre zuvor als fiktiver menschenfressender Psychiater Hannibal Lecter zu später Berühmtheit gelangt und wird seither gern mit der Darstellung historischer Figuren betraut, denen er überhaupt nicht ähnlich sieht. Ähnlich wie später bei „Hitchcock“ sah er auch hier nach Stunden in der Maske weder wie er selbst noch wie seine Rolle aus. Das war im Falle von Richard Nixon, dessen Gesicht dem Kinopublikum von 1995 noch gut erinnerlich war, ein echtes Manko.
Kissinger hat es besser getroffen: er wurde von Paul Sorvino mit der nötigen Gravitas gespielt und bekam sogar eine passende und passend radebrechende Synchronstimme, den ehemaligen New Yorker Opernbass Donald Arthur.
Kissinger war dennoch unzufrieden mit dem Film und adelte ihn, indem er in einem Zeitungs-Gastbeitrag die Fehler aufzählte, die seine Leinwand-Persona von ihm trennten. So habe er zum Beispiel niemals geraucht und hätte sich auch nie darauf eingelassen, mit Nixon zum Beten niederzuknien, wie es der Film kurz vor Schluss vorführt.
Kissinger wird sich nicht so sehr darüber geärgert haben. Zwanzig Jahre nach seinen Affären mit Ingeborg Bachmann, Liv Ullmann oder der Bond-Lady Jill St. John tauchte der alte Fuchs nun auch noch im Feuilleton auf.

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Tierhaargespräche

geführt von Monty Arnold

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Regietheater – muss das sein?

„Zeit“-Autor Peter Kümmel fasste dieser Tage die Regietheater-Normalität auf unseren Bühnen so zusammen: „Seit Jahren gibt es in Deutschland ein Einheitsbühnenbild, in dem sich das meiste Theater (abzüglich der Boulevardkomödien) abspielt und worin die Figuren wohnen: Es ist das Verlies, das unmöblierte und fensterlose Gewölbe. Hier findet der Schauspieler keine Geborgenheit. Er muss immerzu stehen und spricht seinen Text wie ein Zeuge zum Publikum hin. Wenn er doch mal sitzen darf, dann auf einem kalten Stuhl, auf dem er leidet wie ein Sträfling, der verhört wird, ehe man ihn abführt. Kurzum: der ohnmächtige, unter diffuser Anklage stehende Mensch beherrscht, so paradox das auch klingt, die Bühnen. (Natürlich gibt es Ausnahmen: Manche Aufführungen spielen in den Bereich des Trashs hinein und sind muntere Abarten des Verlies-Theaters, da sie sich unter den Zwang setzen, nicht nur ‚die Lage des modernen Menschen‘ zu zeigen, sondern auch noch unterhaltend sein zu wollen.)“ (Der Artikel ist insgesamt freundlicher als dieser Anfang vermuten lässt…)

Die Annahme, es müsse sich in praktisch jeder modernen Inszenierung irgendjemand ausziehen und / oder vollschmieren, ist ein fürchterlich alter Hut. Spätestens seit 1976, seit Peter Zadeks legendär-skandalöser „Othello“-Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus, in der der halbnackte, schwarz bepinselte, abfärbende Ulrich Wildgruber in der Titelpartie über die Bühne tobte, gilt es als verstaubt und irrelevant, als eine Art naiver Malerei, die handelnden Personen eines (zumal klassischen!) Bühnenwerkes manierlich auszustatten und einzukleiden. „Hamlet“ hat nackt zu sein und vor Waschbeton auf seinem Laptop herumzuklickern – schließlich ist Shakespeare ja so unerhört zeitlos. (Eben!)
Auch in der Oper hat sich dieser Ansatz längst breitgemacht. Das unausgesprochene Argument: man wolle und müsse sich schließlich von den zahlreichen früheren Inszenierungen absetzen, um kreativ sein zu können. Selbst Zeitstücke (einige ja ihrerseits inzwischen Klassiker) spielen mit Vorliebe in raumloser Dekoration und in einer Atmosphäre beliebig wirkender Abstraktion, abstrakt und nach Möglichkeit dreckig. In einer Einführung (es Thomas Bernhard gegeben) entsetzte mich die Dramaturgin der genannten Hamburger Bühne einmal mit dem Geständnis, man habe alle weiblichen Rollen mit Männern besetzt und umgekehrt, denn irgendwas in der Art hätte man ja schließlich machen müssen. (In den Worten von Loriot: „Andere machen es doch auch!“)

Das heute „übliche Wasser-und-Brot-Theater“ (Kümmel) beruht auf der Wichtigkeit, die die Regie seit der Jahrhundertwende auf dem Theater genießt. Zuvor hatten der Autor und sein Stück im Vordergrund gestanden. 2000 Jahre nach den Werken der Alten Griechen musste die „sich immer schneller verändernde Welt (…) ebenso gedeutet werden wie die ihrerseits weltbedeutenden Texte des Theaters nach neuer Lesart verlang[t]en“ (Peter von Becker).*
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* in „Das Jahrhundert des Theaters“, Begleitbuch zur gleichnamigen TV-Reihe, ZDF / Dumont 2002

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Rinaldi in Sippenhaft

betr.: „Staying West!“ von Alexander Braun

Fortsetzung vom 21.11.2023

Im Kapitel „Karl Mays Enkel“ erklärt Alexander Braun schonungslos, was wir schon wussten oder zumindest ahnten: in puncto Comics ist Deutschland immer ein Entwicklungsland gewesen und ist es bis heute geblieben. Daran ändern weder die Verdienste von Wilhelm Busch um die Entwicklung dieser Kunstform etwas noch die Graphic Novels, die es auch bei uns in den Buchhandel geschafft haben.
Warum das Schaffen von Rolf Kauka und die vielen von ihm verantworteten Serien, Konzepte und Charaktere dagegen ebenfalls nichts ausrichten (ähnlich wie sein Vorbild Walt Disney hat Kauka selbst nicht gezeichnet), wird in einer lückenlosen Beweisführung dargelegt. Sie liest sich noch schmachvoller, wenn wir uns die Kreativität unserer Nachbarn Frankreich, Belgien und Italien vor Augen führen. Selbst das ferne Argentinien (das uns in diesem Zusammenhang heute kaum in den Sinn kommt) hat eine kurze aber bedeutsame Glanzzeit der „Neunten Kunst“ aufzuweisen.*

Diese Abbildungen stammen aus dem Abenteuer „Die Stadt der lockeren Fäuste“ von Riccardo Rinaldi und zeigen typische Schauplätze und Situationen der Western-Kultur.

So findet die Kauka-Serie „Tom und Biberherz“ (ab 1957, ab 1973 „Tom und Biber“) aus dem „Fix und Foxi“-Kosmos als Western-Serie kurz Erwähnung – die Abbildung im Katalog stammt von Walter Neugebauer, der für Kauka eine beeindruckende Karl-May-Bearbeitung vorlegte. Doch obwohl seine zeichnerische Leistung durchaus anerkannt wird, trifft auch ihn Brauns hartes aber gerechtes Urteil: das Vermögen der deutschen Comickünstler war nach dem Kriege schon dadurch gedeckelt, dass keiner von ihnen sich für die Geschichte des Comics interessiert und ausländische Beispiele studiert hat. Somit konnte sich auch niemand an Vorbildern orientieren. Man begann hier praktisch bei null, und die Lernkurve war flach. Viele dieser Zeichner waren außerdem am Medium Comic persönlich uninteressiert und wirkten nur auf diesem Gebiet, weil es sie dorthin verschlagen hatte. Kauka selbst wird als Comic-Banause geschildert, und sogar sein verdienstvoller Redakteur und Autor Peter Wiechmann schrieb zu meiner Überraschung kurz vor seinem Tode: „… die weite Welt des Comics ist mir – generell gesehen – fremd geblieben. Heißt: ich habe kein Wissen darum. Mir fehlt das Interesse. Ich las nie Comics, die außerhalb meiner Einfluss-Sphäre existierten oder entstanden.“ – für seine Fans ein irritierendes Geständnis.**

So ist es nicht verwunderlich, dass auch Riccardo Rinaldi, der „Tom und Biberherz“ von Neugebauer übernommen hat, mit in den Maelstrom gerät und von Alexander Braun verworfen bzw. übergangen wird.

Rinaldi war der einzige Italiener in Kaukas Münchner Villa, die meisten seiner Kollegen dort stammten aus Jugoslawien. Vielleicht erklärt sich so seine besondere Qualität im Comic der frühen Bundesrepublik. Rinaldi hat außerdem „Fix und Foxi“ gezeichnet und eine Steinzeit-Serie sowie eine erotische Siegfried-Sage gestaltet. Wie alle übrigen Haus-Zeichner blieb er namentlich ungenannt, seine Arbeit firmierte unter „Rolf Kauka“.
Ich gehe davon aus, dass Rinaldis Arbeit den in „Staying West!“ gestellten Ansprüchen unbedingt genügt und dass er ausführlich darin gewürdigt worden wäre, hätte er sich in seiner Heimat betätigt. Die hier abgebildeten Zeichnungen (vermutlich) aus dem Jahre 1968 könnten dafür sprechen.

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* Mehr dazu in wenigen Tagen.
** Siehe „Primo Premium“, zweibändige Sammleredition, Selbstverlag 2019
*** Siehe https://blog.montyarnold.com/2023/11/21/staying-west/

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Das vierte allerletzte Mal

Fernsehkritik von Torben Sterner

„Wetten dass ..?“ ist zuende. Wieder einmal habe ich Thomas Gottschalk von diesem antiquierten, aber (eigentlich) immer noch sehenswerten Format Abschied nehmen sehen, einen Moderator, dessen Fan ich bin (war, sein sollte …). Leider ist es bei ihm wie mit einem guten Wein: der wird irgendwann auch ungenießbar. – Gut, daran muss gar nicht unbedingt der Flascheninhalt schuld sein, es kann auch die Art der Lagerung sein.
Es bekommt „Wetten dass ..?“ nicht gut, dass das ZDF sein Monopol „Kandidaten können zeigen, was sie so draufhaben“ überlebt hat. Und dass Gottschalk – was er selbst beklagt – nicht mehr so frech drauflosplappern kann wie einst, liegt in der Natur der Sache. Man sieht ihm an, dass er sich jede Frage dreimal überlegen muss, und dann stellt auch noch die falsche. Er ist langsamer geworden und macht es sich dabei etwas zu gemütlich. Jeder weiß um die Knoten in seinem Kopf wenn es um Namen geht. Ihm dann drei Gäste mit fast demselben Nachmanen auf die Couch zu setzen, ist entweder nachlässig oder boshaft. Der wieder aufblitzende alte Thommy macht das Beste draus, indem er aus Schweighöfer-Schweinsteiger-Stappenbeck einen Zungenbrecher bastelt (an dem er sich allerdings selber verhebt). Und mit Cher an der Hand zu Helene Fischer zu sagen: „Die war schon öfter hier als du, ist aber auch schon länger unterwegs“, war ein Kleinod, bei dem ich herzlich lachen konnte. Leider habe ich mich dabei so sehr vor mir selbst erschrocken, dass meine Frau neben mir aufwachte.

Technisch – auch das soll hier nicht unerwähnt bleiben – war dieser Abend ein Reinfall: die Mikrofone gingen zur falschen Zeit auf und zu, die Kameras blickten unscharf, das Playback von Shirin David war verkorkst, und die Schilder von denen der Meister ablesen wollte, hingen so tief, dass er wirkte wie beim Gebet. Beim Herunterbeten einer Samstagabendshow…
Na, nun wollen wir doch mal sehen, ob der Elstner nochmal wiederkommt.

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„Uhrwerk Orange“: der unbehagliche Kultfilm

betr.: 30. Todestag von Anthony Burgess

London in einer nahen Zukunft. Allabendlich trifft sich Alex, ein Beethoven-Fan Ende 20 (in der Romanvorlage von Anthony Burgess handelt es sich um einen Teenager), mit seiner Gang, den „Droogs“ Pete, Georgie und Dim, in der Korova-Milchbar. Ihre Uniform: Melone, weißes Hemd, weiße Hose mit Tiefschutz und Springerstiefel. Von dort aus brechen die Jungs regelmäßig zu ihren nächtlichen Streifzügen in die Vorstadt auf. Sie kommunizieren in Nadsat miteinander, einem slawisch inspirierten Slang. (Auch die Ich-Erzählung von Alex für das Kinopublikum ist in diesem Duktus gehalten.)
Es sind Beutezüge, doch in erster Linie sind die gelangweilten Männer auf Gewaltexzesse aus, und wehrlose Opfer mögen sie am liebsten. Zunächst wird ein obdachloser Säufer in einer Unterführung krankenhausreif geschlagen und eine andere Gang aufgemischt, die etwas weniger originelle Army-Klamotten trägt. Doch das ist nur ein Vorgeschmack.
Alex und Co. dringen in die abgelegene Villa eines Schriftstellers ein und zwingen ihn, der Vergewaltigung seiner Frau zuzusehen. Sie töten eine reiche Hausbesitzerin, die allein mit ihren Katzen lebt. Da diese in weiser Vorahnung die Polizei alarmiert hat, wird Alex festgenommen – seine Komplizen, die er zuletzt mit seinem herrischen Gehabe verärgert hatte, lassen ihn im Stich.
Alex kommt ins Gefängnis, wo es ihm gelingt, sich beim Geistlichen der Einrichtung anzubiedern. Außerdem entzückt er die Vollzugsbeamten durch militärisch-gehorsames Auftreten. Als er von der Ludovico-Therapie hört, die der neue Premierminister angeordnet hat und nach deren Durchlaufen die vorzeitige Entlassung winkt, bewirbt er sich und wird angenommen.
Man unterzieht ihn einer Gehirnwäsche, die ihm die Lust auf Sex und Gewalt nehmen soll. Gefesselt, unter dem Einfluss von Medikamenten und mit arretierten Augenlidern muss er sich täglich stundenlang Filme von Tötungen und Folterungen ansehen (ein Programm, das weitaus dezenter ist als der Film selbst). Auch Nazi-Aufmärsche und Hitler-Reden sind darunter.
Der Soundtrack setzt Alex ganz besonders zu: eine verpoppte Version seiner Lieblingskomposition: Beethovens Neunte. Alex wird zu einem „Uhrwerk Orange“, einem Organismus, der wie auf Knopfdruck funktioniert.
Am Abschlusstag leckt er unterwürfig einer sadistischen Tunte die Schuhsohlen und widersteht dem Impuls, eine nackte Blondine zu begrapschen. Der Premierminister ist begeistert.
Wieder auf freiem Fuß, jedoch nunmehr wehrlos, entdeckt Alex, dass seine Eltern ihn durch einen Adoptivsohn ersetzt haben. Die er einst misshandelte, rächen sich: zuerst die Obdachlosen, dann seine Kumpels, die im Rahmen einer weiteren „fortschrittlichen“ Maßnahme der neuen Regierung zu Polizisten geworden sind. Der seit ihrem Zusammentreffen im Rollstuhl sitzende und verwitwete Schriftsteller nimmt ihn auf. Er will Alex als Märtyrerfigur für seine Umsturzpläne nutzen. Und Rache üben.
Alex stürzt sich aus dem Fenster – und erwacht in einem Gipsbett.
Um die Öffentlichkeit zu beruhigen, leitet die Regierung Maßnahmen zu seiner Rekonditionierung ein. Die ist aber kaum noch nötig, denn wie wir an seinem irren Blick und an seiner offenherzigen Erzählerstimme erkennen, ist Alex schon wieder ganz der Alte. Künftig stellt er seine mörderischen und sexuellen Triebe in den Dienst des Staates.

Wem die Inhaltsangabe von „Uhrwerk Orange“ stumpf und gewaltverherrlichend erscheint, der könnte beim Betrachten des Films unter Umständen einen ähnlichen Eindruck haben. Tatsächlich fühlte ein erheblicher Teil des Publikums so (und viele, die den Film gar nicht erst sehen wollten, weil sie der Inhalt abschreckte) und protestierte gegen ihn. Die Aufführungsverbote und Boykottaufrufe waren eine unbezahlbare Reklame, und wer daraufhin ins Kino ging, kam auf seine Kosten. Die Gewaltdarstellungen sind sehr explizit und werden durch ihre schrille Überzeichnung und den psychedelischen Kitsch-Look für niemanden angenehmer, der Brutalität nicht schätzt – ebensowenig wie durch die eifrigen Hinweise der Macher, es ginge ihnen doch nur darum, die Abscheulichkeit von Gewalt vorzuführen und anzuprangern.

Dass die Kritik nicht gänzlich aus der Luft gegriffen ist, lässt sich schon daran ablesen, dass die Mitwirkenden und die Familie des Regisseurs „A Clockwork Orange“ in den zahllosen seither geführten Interviews unentwegt verteidigen, um nicht zu sagen: rechtfertigen. Auch eine neuere Doku über die Romanvorlage hat praktisch kein anderes Thema. Obwohl sie zum Weltruhm des Buches erheblich beitrug, war der Autor übrigens unzufrieden mit der filmischen Umsetzung. Anthony Burgess beklagte sich, Kubrick habe – wie auch die amerikanischen Verleger des Buches – das 21. Kapitel weggelassen und damit seine moralische Pointe sabotiert.

Was macht „A Clockwork Orange“ nun zum wahrhaftigen Kultfilm? Es ist eine Maßnahme, die der Regisseur (möglicherweise ohne Marketing-Hintergedanken) selbst ergriffen hat. Wegen der Proteste und Drohungen in den USA, bat Kubrick die Produktionsfirma darum, ihn in England zurückzuziehen, da er um seine Sicherheit und die seiner Familie fürchtete. Dass Warner Bros. dieser Bitte entsprach, spricht sowohl für das enorme Ansehen des Regisseurs als auch für die Gewinne, die der Film im Rest der Welt einspielte und die den britischen Markt offenbar entbehrlich erscheinen ließen.
Stanley Kubricks Landsleute mussten sich jahrelang mit VHS-Kopien und Sondervorstellungen begnügen oder – wenn diese nicht zu Hand waren – darüber spekulieren, welches Meisterwerk der Filmkunst ihnen da vorenthalten wurde.

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Tierhaargespräche

geführt von Monty Arnold

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Tucholksy 2023

betr.: Die Niederlande haben gewählt

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Pseudo-amerikanische Befindlichkeiten

Der Kurator und Comic-Spezialist Alexander Braun vollbringt mit seinem neuen Buch „Staying West!“ – dem Katalog zu seiner gleichnamigen Ausstellung – einmal mehr das Kunststück, ein Stück Kulturgeschichte für uns nachvollziehbar zu machen und zugleich etwas Hilfreiches zu einer aktuellen Debatte beizusteuern, die sehr hitzig und auf keinem sehr hohen Niveau geführt wird.
„Staying West!“ ist die Fortsetzung von Ausstellung und Buch „Going West!“*, und wieder wird sich mit der Darstellung der Besiedlung Nordamerikas durch die europäischen Einwanderer beschäftigt, wie sie sich im Comic dargestellt hat. Alexander Braun beweist, dass der Comic sich ab 1920, also „verblüffend früh und bemerkenswert authentisch mit der Kultur der Indigenen auseinandersetzten: zu einer Zeit, als in Hollywood noch skalpiert wurde.“
Er entlarvt die eine oder andere Debatte als gegenstandslos, indem er etwa den Unsinn der kürzlichen Ächtung des Begriffs „Indianer“ (das „I-Wort“) in unserem Sprachgebrauch aufdröselt**. In diesem Zusammenhang wirft Braun auch einen Blick auf die gefeierte Arbeit der Donald-Duck-Übersetzerin Erika Fuchs, ihre Versäumnisse und die heutigen Versuche ihres Verlages, mit dem rasanten Wandel des Sagbaren und momentan Nicht-mehr-Sagbaren umzugehen.

Vieles in dieser Fachpublikation ist grundsätzlich bedenkenswert: „Sprache ist ambivalent und verändert sich mit der Zeit. Das gilt es anzuerkennen, egal, welche Position die eine oder andere Partei vertritt. Sammelbegriffe, die Unterschiede im Detail nicht per se negieren, sondern lediglich im Sinne besserer Kommunikationsfähigkeit für den Moment hintanstellen, sind deswegen auch nicht per se rassistisch. (…) Wenig zielführend (…) ist ein apodiktisches Denken, [mit dem] die Arroganz verbunden ist, zu glauben, dass unser heutiges Denken und handeln unangreifbar wäre und für alle Ewigkeit Bestand habe – die Geschichte lehrt uns etwas anderes -, verstellt jede Falsch/Richtig-, Böse/Gut-Rigorosität den Blick auf Dynamiken und Prozesse.“
Derlei Kulturkampfdebatten sind vor allem deshalb so beliebt, „weil so von den eigentlichen Problemen abgelenkt wird. Wer sich in den Elfenbeinturm begibt, um dort verzehrende Kulturelle-Aneignungs-Debatten zu führen, hat am Ende des Tages keine Kraft mehr, um für gerechten Lohn, für Zugang zu sauberem Trinkwasser und gegen Klima- und Ernährungsprobleme zu kämpfen.“

NICHT aus dem besprochenen Band: Strip aus „Alwis: Aweile Awwer“ von Schnorres und Schmitt (Selbstverlag 1988).

Die Ausstellung „Staying West!“ findet noch bis zum 03. April 2024 im „Schauraum Comic + Cartoon“ in Dortmund statt.
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* Siehe https://blog.montyarnold.com/2016/01/07/going-west-1-invasion-aus-der-alten-welt/
** Dieses Thema streift der Autor auch in diesem Radiobeitrag: https://www.deutschlandfunkkultur.de/staying-west-der-wilde-westen-im-comic-ausstellung-in-dortmund-dlf-kultur-3ea5caaa-100.html

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