Kultfilm-Azubis (1): Kinder und Kuscheltiere

Heute startet die zweite Staffel des Podcasts „Alle 42 Kultfilme“. Ab jetzt unterhalte ich mich mit Torben Sterner pro Ausgabe über zwei Filme: einen, der es nicht auf die Wuppertaler Liste aller 42 Kultfilme geschafft hat, aber nach Meinung vieler, die es nicht ganz so genau nehmen, einer hätte sein müssen, und über einen Geheimtipp, der absolut keine Chance auf Kultstatus hat, es aber nach Meinung der Redaktion verdient gehabt hätte. Beide Filme sind durch eine inhaltliche Gemeinsamkeit miteinander verbunden – und dennoch sehr unterschiedlich.
Eine romantische Fantasy-Komödie aus dem Jahre 1993 ist unser erster „Kultfilm-Azubi“.
Der dazu passende „Pyramid Frolic“ ist ebenfalls ein Film, der uns in eine abgelegene Gemeinde entführt, in der unerklärliche Dinge vor sich gehen.

Und täglich grüßt das Murmeltier / Groundhog Day
Amerikanische Komödie von 1993

Jedes Jahr reist der TV-Wetterfrosch Phil Connors (Bill Murray) aus Pittsburgh für eine Reportage in ein entlegenes Kaff namens Punxsutawney, wo traditionell ein Murmeltier den Beginn des Frühlings voraussagt. Er hasst dieses Ritual und nervt sein Team, zu dem auch die neue Aufnahmeleiterin Rita (Andie McDowell) gehört, mit seinem Zynismus.
Dass das Murmeltier seinen Vornamen trägt, macht die Sache nicht besser.
Phil, der Wettermann, möchte nach der kurzen Aufnahme sofort wieder abreisen, doch ein Schneesturm zwingt die Crew zur Übernachtung in Punxsutawney.
Auch am nächsten Tag kommt Phil nicht aus der Nummer raus. Der Murmeltiertag wiederholt sich wieder und wieder: das gleiche Problem mit der Dusche, die gleichen Leute am Frühstücksbüffet, das gleiche Volksfest. Und jeden Tag sagen alle immer wieder dasselbe. Es ist wie ein Fluch.
Phil versucht, diesem Zeitschleifen-Horror zu entkommen: durch Amokläufe, Sabotage, Selbstmord. Als all das nichts hilft und er immer wieder am 2. Februar in seinem muffigen Hotelzimmer zu den Klängen von „I Got You Babe“ erwacht, ändert er langsam seine Strategie …

Harold Ramis‘ kleine kommerzielle Kinokomödie hat geschafft, was so selten gelingt: noch Jahrzehnte später nennen viele diesen als ihren Lieblingsfilm, und der deutsche Verleihtitel von „Groundhog Day“ ging bei uns sogar in den Sprachgebrauch über. Auch dass dieser Film mit einer Allegorie arbeitet und die versteckte Botschaft enthält, dass wir an uns arbeiten sollten, wenn wir auf Bill Murrays Spuren geläutert werden möchten, hat seine Popularität nicht verhindert.

Das Dorf der Verdammten / Village Of The Damned
Englischer Gruselthriller von 1960

Während der Physiker Gordon Zellaby in seinem Büro im südenglischen Midwich Village mit seinem Schwager Alan Bernard im Kriegsministerium telefoniert, sinkt er plötzlich bewusstlos zu Boden. Da Bernard auch niemand anderen dort telefonisch erreichen kann, sieht er vor Ort nach dem Rechten. Ganz Midwich befindet sich in einer Art Tiefschlaf, von dem weiterhin jeder befallen wird, der dem Gebiet zu nahe kommt. Nach knapp vier Stunden endet das mysteriöse Phänomen so plötzlich wie es begonnen hat, und allen scheint es wieder gut zu gehen. Einige Wochen später stellt sich heraus, dass die gebärfähigen Frauen des Dorfes ein Kind erwarten, auch eine Frau, deren Mann das letzte Jahr auf See verbracht hat, eine unberührte 17jährige – und Mrs. Zellaby.
Sechs Knaben und sechs Mädchen kommen zur Welt, die einander mit ihren weißblonden Haaren wie Geschwister gleichen. Sie entwickeln sich beunruhigend schnell. Im Alter von drei Jahren verfügen die Kinder bereits über den Verstand von 25jährigen, ihren Eltern begegnen sie mit Kälte und Verachtung.
Bald sehen sich die Bürger von Midwich einer verschworenen Gemeinschaft mit übernatürlichen Fähigkeiten gegenüber, deren Hirne miteinander vernetzt sind. Es kommt zu Todesfällen unter jenen, von denen sich die eisig dreinblickenden Intelligenzbestien bedroht fühlen. Dr. Zellaby beschließt, gegen seinen eigenen Sohn David und die anderen „Midwich Cuckoos“ (so der Titel der Romanvorlage) vorzugehen, die offensichtlich die Vorhut einer Invasion bilden. Das ist nicht leicht, denn selbstverständlich können die Kleinen auch Gedanken lesen …

Diese ebenso gemütliche wie verstörende kleine Schwarzweißproduktion ist atmosphärisch irgendwo zwischen „Miss Marple“ und „Gefahr aus dem Weltall“ angesiedelt.

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Richard III. privat

betr.: 118. Geburtstag von Laurence Olivier

Es gibt viele Bücher über den Jahrhundertschauspieler Laurence Olivier; das unangenehmste davon stammt von ihm selbst. Aber was sein Kollege Anthony Quinn über ihn zu erzählen hat – dies sind nur einige zusammengesuchte Anmerkungen aus dem betreffenden Kapitel in seiner Autobiographie -, findet man nirgendwo sonst:
 
Er sah normal und ziemlich unspektakulär aus. Er hatte einen wahnsinnig schönen, federnden Gang. Er pumpte meine Hand, als würde ich Wasser spenden. Er sprach mit einem furchtbaren britischen Unterschichtenakzent, den er auf der Bühne zwar zu verbergen verstand, der ihm jetzt aber wie die natürlichste Sache der Welt von der Zunge ging. Er spuckte die Worte schnell hintereinander aus wie ein aufgeregter Junge. Außerdem hatte er anscheinend einen Tick mit seinem Mund. Ständig leckte er sich die Lippen, saugte die Backen ein, ließ den Kiefer spielen – das Ganze glich einem nervösen Zucken. Ich fragte mich, ob er wohl gerade eine schlechte Grapefruit gegessen hatte.
Olivier war wie ein Boxer beim Training. Jahre vorher, als ich noch in East Los Angeles boxte, kamen meine Gegner vor dem Kampf manchmal zu mir in die Umkleidekabine. „Tony“, hieß es dann, „hör mal zu. Wir sind heute abend mit vier Runden dran, aber ich hab mir grad die Zähne richten lassen, also tu mir den Gefallen, und geh mir nicht ins Gesicht. Ist ohnehin bloß eine Show für diese Arschlöcher; wir wollen uns doch nicht verletzen.“ Dann stiegen sie in den Ring und prügelten die Scheiße aus mir raus. Genauso war es mit Olivier. Er hatte eine Art, die übrigen Schauspieler zu umschmeicheln, bis wir uns öffneten, dabei war er einzig darauf aus, alles im Griff zu haben. Er machte das eigentlich ganz lieb, aber auch unglaublich gerissen. Der Mann konnte die stille Theaterluft mühelos durchdringen wie Miles Davis mit seiner Trompete! – und wenn ich mitzuhalten versuchte, dröhnte er nur noch lauter.
Als Schauspieler war er ein zähes kleines Miststück, doch als Mensch schien er völlig harmlos und sehnte sich nach Gesellschaft. Er hatte etwas erschreckend Liebes und Trauriges an sich. Gleich am Anfang erzählte er mir, dass er eine schwere Zeit durchmache. Er war in die britische Schauspielerin Joan Plowright verliebt, nur hielten sie ihre beruflichen Verpflichtungen ständig voneinander fern. Und er ließ sich gerade von Vivien Leigh scheiden, die inzwischen krank geworden war. Er fühlte sich entsetzlich einsam und war schrecklich verwirrt.
Trotz aller Klasse und Gelehrsamkeit, die er auf der Bühne ausstrahlte, war er einer der ungehobeltsten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Ich kam auch aus armen Verhältnissen, wusste aber trotzdem, wie man sich in einer solchen Situation verhielt. Doch Olivier war ein anderer Fall. Er war ein Tölpel aus der Unterschicht, der vorgab, mehr zu sein, und sobald er nicht mehr im Scheinwerferlicht stand, konnte der arme Kerl keinen mehr täuschen.

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Rückzug von der Tanzfläche

betr.: morgiger Abschied von Manfred Behrens und „WDR 4 Soundtrack“

Normalerweise kommen Abschiede von Radiomoderatoren überraschend. Wir erfahren erst bei der Schlussmoderation, dass es keine weitere geben wird, hin und wieder wird es auch schon am Anfang der letzten Sendung verraten. Als ich selbst mal in die Lage geriet, mich aus einer Sendereihe zurückzuziehen, ermahnte mich mein Redakteur, es kurz und knapp zu halten.
Manfred Behrens, langjähriger Präsentator von „WDR 4 Soundtrack“ redet seit Monaten davon, dass er aufhören wird. Jetzt wird es endlich ernst. Die morgige Ausgabe ist die letzte, wenn er es sich nicht anders überlegt. Das Thema ist mit einem feucht-schmatzenden Augenzwinkern gewählt: „The Last Dance – Tanz im Film“.

Aus Liebe zur Filmmusik habe ich seit Jahren keine Folge versäumt – oder sagen wir: trotz dieser Liebe. Denn Herr Behrens mag offensichtlich keine Filmmusik. Er spielte Pop, Pop, Pop, hie und da mal Rock, einen Schlager oder eine schauerliche Wirtschaftswunder-Geschmacklosigkeit. Meistens – längst nicht immer! – fand er immerhin eine Begründung für die Musikauswahl, die irgendwie mit Kino zu tun hatte. Das ist nicht so schwer, denn Popmusik ist in Filmen ja immer wieder anzutreffen. Es fiel jedoch auf, wie selten es ein Orchester zu hören gab, das einen tatsächlichen Soundtrack spielte. Putzig auch die Musiklisten auf der WDR-Homepage. Zu solchen Titeln stand dann da etwa „Main Title – Filmorchester“ oder „Abspannmusik – Orch.“. Will eh kein Schwein wissen. Zuweilen gab es auch komplett soundtrackfreie Sendungen – etwa, wenn ein Musiker-Biopic den aktuellen Anlass hergab.

Mit dieser Fachwurstigkeit lag der Moderator im Trend des linearen Angebotes. Die wenigen Filmmusik-Formate, die nicht ohnehin längst aus dem Schema verschwunden sind, werden allesamt von Kollegen und Kolleginnen moderiert, die gewiss Filmliebhaber sind – bzw. gern in Pressevorführungen gehen -, aber deswegen noch lange keine Filmmusik mögen.
Was mir am Donnerstagabend fehlen wird, ist Behrens‘ leutseliger Kneipen-Charme und sein Talent, knackige, sehr persönliche Inhaltsangaben zu formulieren. Er schaffte es stets, zu( eine)m Kern jedes Films durchzudringen und uns am Lautsprecher das Gefühl zu geben, es müsste lustig sein, mit ihm zusammen ins Kino zu gehen oder einen Videoabend zu machen. Bei ihm war auch nicht alles gleich gut. Es mag diese Qualität gewesen sein, die mich so treu hat dranbleiben lassen.
Und die mir fehlen wird.

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Arthaus is not a home

Der heutige Kino-Mainstream ist so beschaffen, dass ich mich dabei ertappe, beim Erklingen des Wortes „Arthaus“ spontane Freude zu empfinden. Ganz einfach weil „Arthaus“ quasi das andere Extrem von „Mainstream“ bedeutet, also mindestens das Gegenteil. Freilich verfliegt dieses Glücksgefühl sofort wieder – schließlich ist der Feind meines Feindes nicht automatisch mein Freund.
Wie fremd mir das Repertoire schon immer ist, das unter diesem Begriff verstanden wird, machte mir die Lektüre des Buches „Sein oder Spielen“ von Dominik Graf neuerlich bewusst (es war an dieser Stelle schon die Rede davon).
Der Autor legt sich nicht fest, wie viel ihn grundsätzlich mit seiner Filmemacher-Generation verbindet, aber seine Biografie bringt es mit sich, dass ihm die Szene der  Autorenfilmer näher ist als das Personal des amerikanischen Gangsterfilms oder des Poetischen Realismus. Seine Projekte führten eher Gudrun Landgrebe oder Tobias Moretti vor seine Kamera als Barbara Stanwyck oder John Wayne.

Wenn er auf das Thema „Neuer Deutscher Film“ zu sprechen kommt, überzieht mich allein das Name-Dropping zugleich mich Horn- und Gänsehaut, ebenso die Schilderung des Klimas, in dem dessen Vertreter ihr Handwerk erlernten. Wenn Graf den „strengen cineastischen Ewigkeits-Code“ beschreibt, der Mitte der 70er durch die Säle der Münchner Filmhochschule wehte, kommt man kaum auf den Gedanken, dass ein Kinobesuch damals mit dem Slogan assoziiert werden wollte: „Mach die ein paar schöne Stunden!“. Selbst aus dem US-Kino der 30er und 40er Jahre (eine tolle Zeit, wie ich finde), suchte der „Filmgeschichte-Dumbledore“ Helmut Färber vor allem das große Epos auf. Er „führte den Diskurs, betrieb eine Art Rückführung zum Heldenzeitalter der Kino-Anfänge, propagierte eine Reinwaschung des Auges, weg vom Hedonismus der hastigen Bilderflut der Hippie-Zeit. Am besten wieder ganz zurück auf Los, zum ästhetischen Kinobild als solchem, am besten schwarz-weiß, so als würde man einen Altar zum Vorbild nehmen. (Neben dem alten Hollywood galten in diesem Kodex nur noch der Däne Carl Theodor Dreyer, der Japaner Ozu Yasujiro und das filmende Ehepaar Huillet/Straub als Lehrmeister.)“
Dominik Graf und seine jungen Kollegen haben sich darauf nicht eingelassen und die Flucht ergriffen. Graf selbst nennt die Schwurbeleien des Herrn Dumbledore heute diplomatisch „eine Art blaue Blume beim Filmemachen“.
Doch es ist eben leider nicht so, dass solche Pädagogik die jungen Künstler zu Hawks, Wilder oder Hitchcock gescheucht hätte. Oder zu den MGM-Musicals.
Wie das eben so ist mit den Feinden meines Feindes …

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Take your heart … and go

betr.: 50. Todestag von Leroy Anderson

Leroy Anderson hat einen unerreichten Ehrenplatz in der Popkultur. Sein Stil liegt zwischen der Musik von Henry Mancini – dem Schöpfer des bestgelaunten Sounds der zweiten Jahrhunderthälfte – und den derben Späßen von Spike Jones. Alle drei waren sie große Humoristen, was ohne Worte gar nicht so einfach ist.
Ihre Musik war einmal überall.
Während Mancinis Filmsongs und -themen ständig nachgespielt und umarrangiert wurden („Der rosarote Panther“ hat es in dieser Form bis in die berühmten Land-Jugenderinnerungen von Heinz Strunk geschafft …), tauchten Spike Jones‘ Gags und Geräuschaffekte in unzähligen Radiojingles auf (und tun das als Samples bis heute).
Leroy Andersons große Hits wiederum wurden vielfach zu Erkennungsmelodien. Sein „Typewriter“ ist zuerst von Jerry Lewis als Playback seiner populärsten Pantomime vereinnahmt worden (uraufgeführt in der Komödie „Who’s Minding The Store“) und dann wieder und wiederverwendet worden, etwa als Indikativ der Leserbriefrubrik von Radio Luxemburg (RTL) oder in der Fernsehserie „Büro, Büro“. „Sleigh Ride“ dürfte heute das wichtigste instrumentale Weihnachtslied überhaupt sein – und RTL nutzte auch dieses für seinen festtäglichen Veranstaltungskalender. Radio Luxemburg hatte überhaupt eine innige Beziehung zu Andersons Musik: „Belle Of The Ball“ war in den ersten zehn Jahren die Erkennungsmelodie des Senders, ehe James Last 1967 eigens „Happy Luxembourg“ komponierte.
Doch nicht nur in unseren Breiten wusste man Andersons signatorische Musik zu nutzen. „The Syncopated Clock“ wurde zur Titelmusik der „Late Show“ auf WCBS – und tauchte wie unzählige weitere Anderson-Tunes unentwegt in Soundtracks auf.

Außerhalb der schwierigen Kunst der Leichten Muse wurde es dem Komponisten schwer gemacht, da half ihm auch seine gute Beziehung zu Arthur Fiedler von den „Boston Pops“ nicht weiter. Sein Musical „Goldilocks“ (ich bin ein großer Fan des Cast-Recordings mit Don Ameche und Elaine Stritch) wird von der Nachwelt ignoriert und hatte in Noel Coward einen prominenten Verächter. Andersons Klavierkonzert floppte, und als es lange nach seinem Tode 1993 endlich wieder zur Aufführung kam, spendete der „Boston Globe“ ein Lob, das schlimmer ist als jeder aufrichtige Verriss: „Es ist ein betörendes, schönes und mitreißendes Stück, elegant und durchzogen von jazzigen Blue Notes. Das Konzert mag strukturelle Lücken haben, dennoch ist es heiter, liedhaft und absolut ehrlich.“  

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Die zwei Großen aus der kleinen Kiste

betr.: 5. Todestag von Peter Thomas

Die Fernsehkult-Generation ist in etwa identisch mit den „Boomern“, die sich zur Zeit scharenweise in den Ruhestand verabschieden. Der Soundtrack zu ihrem Leben kam zu einem nicht unerheblichen Teil von zwei Männern: Peter Thomas und Christian Bruhn. Die haben nicht nur in der Schlagerbranche mitgemischt – uns also aus dem Radio heraus unterhalten -, sondern auch eine Unzahl von TV-Serien und Kinofilmen (die später im Fernsehen rotieren sollten) musikalisch gestaltet.
Beide waren große Könner und überaus produktiv. Doch während Peter Thomas heute hauptsächlich wegen seines Themas für „Raumpatrouille Orion“ abgefeiert wird, weiß man bei Christian Bruhn gar nicht, wo man anfangen soll. Nach der Nennung weniger Titelsongs ist man kurz versucht, ihn für den einzigen deutschen Fernseh-Komponisten der Nachkriegszeit zu halten: „Captain Future“, „Heidi“, „Timm Thaler“, „Hey, hey, Wickie“, „Die rote Zora“

Beide lassen sich in Buchform erforschen. Christian Bruhn hat 2005 eine Autobiographie vorgelegt, deren Titel „Marmor, Stein und Liebeskummer“ die Tür zu seinem beachtlichen Schlagerschaffen aufmacht (die wir schon aus Platzgründen gleich wieder schließen müssen). Es ist ein eminent witziges, lebenskluges Buch, in dem die alte Bundesrepublik uns wie ein Paradies pfiffigen Entertainments erscheint, in dem die Sonne niemals unterging. (In gewisser Weise war das wohl auch so …)

Peter Thomas starb, ohne sein Leben selbst erzählt zu haben, und so ist diese Aufgabe Gerd Naumann zugefallen: „Der Filmkomponist Peter Thomas“ erschien 2009. Das Buch ist gut recherchiert, aber komplett unlesbar. Wenn man sich schon kein kompetentes Lektorat leisten wollte, hätte allein das Redigieren der leutseligen Thomas-Zitate sehr gutgetan („Nun mach doch mal wat anderet, aber was besonders anderes. Aber so, dass es auch jeder versteht und dass auch jeder sich erinnert und sagt: Da ist eine Titelmusik, das ist aber sehr beknallt.“; „Ich sag: Hör mal, Meise! Einmal singen, Geld kriegen, Wiedersehen!“ – so geht das die ganze Zeit!).
Wer sich informieren möchte, während sich die Musik von Peter Thomas auf dem Plattenteller dreht, der könnte sich auf der todschicken Homepage des Meisters wohlfühlen.

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Nicht alles Gold darf glänzen

Zum Tode von Charles Strouse

In den heute vernehmlichen Nachrufen auf Charles Strouse – wo es überhaupt welche gibt – ist von seinen beiden Hauptwerken als Musical-Komponist die Rede: „Bye Bye Birdie“ (ein letztlich vergeblicher Versuch des Broadway, dem Lauf der Popkultur ins Gesicht zu lachen) und „Annie“ (einem sensationell gut besuchten Kitschmonster).
Es muss uns genügen, dass ein fähiger Künstler zu seiner Zeit Erfolg hatte, wenn auch nicht mit den Arbeiten, die es verdient gehabt hätten. Auch den Liebhabern des klassischen Musicals ist Strouses „Golden Boy“ von 1964 weitgehend unbekannt. Ich kenne dieses swingende Boxerdrama nur von der Langspielplatte und ahne entfernt, was es bedeutet haben könnte, Sammy Davis jr. in der Hauptrolle zu erleben. Einen Augenzeugenbericht enthält die 5teilige Radiodoku „Der unmögliche Traum“, die diesem schwarzen Entertainer gewidmet ist, urgesendet im April und Mai 1984 im RIAS und noch nachhörbar auf der DLF-Seite zum Thema „Aus den Archiven“. Der Autor Siegfried Schmidt-Joos erzählt sogar, wie der „Golden Boy“ sich im Laufe seiner Spielzeit am Broadway entwickelt hat.
In ihr lebt auch Charles Strouse noch einmal auf. Ein weiteres vergessenes Kleinod des Komponisten ist „Applause“, seine Musical-Version des Filmklassikers „All About Eve“. Lauren Bacall übernimmt darin den Part von Bette Davis.

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Der mit der Säge

betr.: „Sein oder Spielen – Über Filmschauspielerei“ von Dominik Graf

Phasenweise (etwas später als die meisten) habe ich Götz George sehr gern in der Rolle des Kommissar Schimanski in den „Tatort“-Krimis zugesehen. Heute kommen mir diese Filme, kommen mir George selbst und sein darstellerischer Ansatz komplett veraltet vor, unfreiwillig komisch. Die Episoden mit seinem direkten Vorgänger Hansjörg Felmy alias Kommissar Haferkamp – einmal bei Schimanski ausdrücklicher Gegenstand eines herablassenden Dialogs und in den 80ern Inbegriff eines überholten Konzeptes – haben sich viel besser gehalten.
In „Sein oder Spielen“ widmet der Regisseur Dominik Graf dem „ersten“ richtigen „Star“, den er anzuleiten hatte, den angemessenen Raum, eben Götz George. Und bringt etwas Licht in meine gewandelte Wahrnehmung.

Götz George musste nie darum kämpfen, ein prominenter Schauspieler zu werden, zu sein oder zu bleiben (auch wenn er ein ewiges Hadern und Ringen zur Schau stellte, das nur nachließ, wenn er sich ungewöhnlicherweise als Komödiant betätigte und bewährte: in „Schtonk“). Graf schickt diesen Sonderstatus voraus und beschreibt dann, was Götz George unbedingt anders machen wollte als sämtliche anderen, die diesen Beruf ausübten: „Der Star arbeitet permanent gestisch, nimmt dauernd etwas in die Hand – Kaffeebecher, Polizeimarken, Zigarettenschachteln oder Akten – und fummelt sich im Gesicht herum.* Anders als deutsche Schauspieler sonst zersägt er seine Texte in Gestotter, will um jeden Preis Alltäglichkeit, Normalität, eine Figur, die mit beiden Beinen auf dem Boden steht, keinen Kommissar, der sich von der Sprechbühne in den Film verirrt hat.“
Wer diese Auftritte kennt, wer überdies die endgültig ins unkontrollierte Selbstplagiat abgerutschte Wiederauferstehung der Schimanski-Figur außerhalb der „Tatort“-Reihe in Erinnerung hat, der weiß: man kann auch zu viel des Guten tun (und damit der „Normalität“ keinen guten Dienst erweisen).
Am Ende des Themenkomplexes bedauert der Autor: „Die vitale ‚Alltäglichkeit‘ des Spiels blieb, muss man heute leider sagen, eine kurze Pausendarbietung im westdeutschen Film. Schnell setzte sich wieder das Spielen nach Drehbuch durch, das oft überzogen dramatisierte brave Dialog-Match entsprechend den Sehnsüchten der Dramaturgen und Produzenten.“ Dies bedeutete das Ende dessen, was zuvor wiederum als das „Ende des unmittelbaren Nachkriegsfernsehens“ gefeiert worden war.

Ist das bedauerlich? Sicherlich, ein bisschen. Wie wenig verwunderlich es ist, erklärt Dominik Graf an anderer Stelle selbst. Er berichtet von der unentwegten Schauspielerei unseres Alltags, von ihrer Offensichtlichkeit und davon, wie einvernehmlich wir alle in der Regel damit umgehen: „… wir ‚optimieren‘ uns ja auch permanent selbst, wir prahlen offen oder wir verkleiden uns mit einer Ausstrahlung von (zumeist falscher) Bescheidenheit. Und wir alle meinen dabei ernsthaft, die Zuschauer unseres Lebens würden es nicht merken? Gesten, Mimik, Satzmelodien sind wundersame Charakterisierungen, aber ja auch mehr oder weniger durchschaubare Maskerade. Sie sind auch oft im Leben schmerzhaft erlernte Taktiken, um für Verständnis oder Zuneigung zu werben oder uns die Welt vom Hals zu halten“.
Das ist der Grund für die Patina, die Götz Georges Spiel angesetzt hat: er hätte es als unter seiner Würde empfunden, den allzumenschlichen Drang, besser dastehen zu wollen, in sein Spiel mit aufzunehmen. „Normalität“ hieß für ihn: als Schauspieler (Selbstdarsteller?) etwas Besseres zu sein und sowas nicht nötig zu haben. Das war Ausdruck von Unbescheidenheit. Es war eine Zeitlang recht erfrischend, George dabei zuzusehen. Oder es wirkte wenigstens so.  

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* Es hätte Götz George sicherlich gekränkt innehalten lassen, wenn man ihn darauf hingewiesen hätte, wie übertrieben so etwas wirken und im Gutgemeinten steckenbleiben kann und wie viel früher das schon auf der Mattscheibe geschehen war, siehe: „Alle zappeln außer Helga“, https://blog.montyarnold.com/2024/11/24/das-haus-an-der-stoer/  

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Die Last dem E und dem U

Bei der Aufteilung von Musik in E- und U-Musik (ernste Musik und Unterhaltungsmusik) handelt es sich um ein Klassifikationsschema zur Bewertung von musikalischen Phänomenen. Ausgehend von der Verteilungspraxis der GEMA und anderer Verwertungsgesellschaften kommt ihm seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle zu: dort wird die Vergütungshöhe danach festgelegt, welchem Buchstaben der betreffende Titel zuzuordnen ist. Die Unterscheidung steht unter dem Verdacht der Willkür, und die uneinheitliche Vergütung ist zwangsläufig ungerecht. Außerdem impliziert sie die schwachsinnige Idee, dass Klassische Musik (die ist mit E im Grunde gemeint) nicht unterhaltsam sein könne.

Im Alltag – oder sagen wir auf der kleinen Insel des Alltags, die sich mit der Rezeption von kulturellen Inhalten beschäftigt – wird sich über die Unterscheidung von E und U unentwegt beklagt, aber nicht wegen der genannten Denkfehler, sondern nur, um sich davon persönlich zu distanzieren. Rein privat, als Mensch und Musikfreund. Oder – wie es im Märchen immer so schön heißt – „um sich ein Ansehen zu geben“. Die Botschaft: „Durch meine Kritik an dieser Unterscheidung distanziere ich mich von den törichten Menschen, die sie vornehmen. Ich weiß gar nicht, wer diese Leute sind, wo sie leben und was sie machen, aber ich lehne sie ausdrücklich ab!“
Das ist mindestens scheinheilig, denn die meisten von uns mögen ein Idiom lieber als das jeweils andere. Sie erleben Wohlbehagen bei sinfonischen Streichern und ein Ressentiment bei allem anderen (rockigen Sounds, Jazz, Schlager, Tanzmusik, was auch immer) – oder umgekehrt.
Auch wenn das Gejammer über E und U in professionellen Kontexten erklingt (also von Musikern oder Musikvermittlern kommt), erlebe ich es grundsätzlich als Privatmeinung von Leuten, die betonen möchten, wie aufgeschlossen sie sind.

Wie ich höre, erwägt die GEMA tatsächlich eine Reform ihres Verteilerschlüssels. Und endlich erklärt mal jemand, was mit E und U überhaupt offiziell gemeint ist.
Der Komponist Helmut Lachenmann verteidigt diese Unterscheidung in der FAZ, denn „bei U und E geht es keinesfalls um die selbe Art von ‚Dienstleistung‘. Im Falle U geht es in allen Varianten um den unverzichtbaren ‚Dienst‘ an der Lebensfreude. Im Falle E geht es um die gleichermaßen unverzichtbare, letztlich aber schwierige und anspruchsvollere Erinnerung an unsere ästhetischen Bedürfnisse und Neugier als Teil unserer geistigen Versorgung.“ Im Online-Magazin VAN führt der Musiker weiter aus: Komponisten der E-Musik „haben die von ihnen vorgefundene Musizier- und Schaffenspraxis weiterentwickelt, quasi strapaziert“ und „das Musik-Erlebnis nicht als unterhaltsame und eher unverbindliche, sicher genussvolle Begehung eines kollektiv vertrauten Raums, vielmehr als dessen Öffnung, und wie auch immer irritierend oder befreiend erlebte Erweiterung“ verstanden.
Gut, er hat es wenigstens versucht.   

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Viele große Gatsbys

Fortsetzung vom 1. Februar 2025

In seiner Veranstaltungsreihe „Erfahren, woher wir kommen“ hat der verstorbene Hanjo Kesting die Wiederentdeckung des Autors F. Scott Fitzgerald und das Repertoire der Gatsby-Übersetzungen so erläutert:

Kein Autor hat die glänzende Zauber-Warenwelt der Goldenen 20er Jahre so berauschend und verführerisch beschrieben wie Fitzgerald, keiner hat so kindlich erschrocken in ihre Abgründe geblickt.
„Der große Gatsby“ ist eine zutiefst amerikanische Geschichte, eine Geschichte von der Macht des Geldes, die alle Gegenstände des täglichen Lebens – von den Blumen in den Beeten bis zu den Hemden im Kleiderschrank, nicht zuletzt die Menschen – in Waren verwandelt und nach ihrem Geldwert bemisst. Das Geld – allgegenwärtig, aber spukhaft-ungreifbar – bildet in diesem Buch den einzigen Fixpunkt, es nimmt den Platz des gelebten Lebens ein. Nichts liegt näher als von hier den Sprung in unsere Gegenwart zu tun, die spukhaft und ausschließlich von Gesetzen des Geldes bestimmt ist. In diesem Sinn ist „Der große Gatsby“ ein Buch für unsere Zeit. Und es darf nicht verwundern, dass jetzt, da Fitzgerald länger als 70 Jahre tot und das Urheberrecht abgelaufen ist, gleich vier neue deutsche Übersetzungen des Romans erschienen sind, zusätzlich zu den beiden älteren von 1928 und 1953. Zwei von ihnen existieren auch als Hörbuch. Es wäre reizvoll, diese Übersetzungen zu vergleichen. Einstweilen muss die Feststellung genügen, dass alle Übersetzungen ihre Vorzüge haben, ohne aber an die Feinheit und giftige Süße des Originals heranzureichen.

In Kestings eigenem „Übersetzungsversuch“ liest sich die zuletzt zitierte Passage so:

Die meisten großen Uferwillen waren jetzt verschlossen, und man sah fast keine Lichter, mit Ausnahme des schattenhaften, über den Sund gleitenden Schimmers einer Fähre. Und während der Mond höher stieg, begannen die wesenlosen Häuser wegzuschmelzen, bis ich allmählich der alten Insel gewahr wurde, die einst vor den Augen holländischer Seefahrer erblüht war, die frische, gründe Brust der Neuen Welt. Ihre verschwundenen Bäume, jene Bäume, die Gatsbys Haus weichen mussten, hatten einst flüsternd den letzten und größten aller Menschheitsträume genährt. Einen flüchtigen, verzauberten Augenblick lang muss der Mensch im Angesicht dieses Kontinents den Atem angehalten haben, zu einer ästhetischen Betrachtung angehalten, die er weder verstand noch ersehnte, zum letzten Mal in der Geschichte Aug in Auge mit etwas, das seiner Fähigkeit zu staunen angemessen war.

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