betr.: 100. Geburtstag von Lenny Bruce
Lenny Bruce war das bekannteste Produkt einer Generation von komischen Satirikern oder satirischen Komikern, die zu jener Zeit erblühten, als Amerika sich entschied, es sei jetzt an der Zeit, aufzuhören, sich selbst zu ernst zu nehmen.
In den dreißiger Jahren unterhielt Will Rogers auf den angesehensten Bühnen Amerikas die Menschen mit aktuellen politischen Geschichten, während er ein Seil herumwirbeln ließ und seinen Optimismus bekundete.
Danach erschien Bob Hope mit seiner gefeierten Witzfabrik auf der Bühne und erzählte lokale Histörchen, womit er sich beim gediegenen republikanischen Establishment der Vereinigten Staaten sehr beliebt machte, durch das er es bis zum Multimillionär brachte.
Doch durch Senator McCarthy, der behauptete, unter oder in viel zu vielen Hollywoodbetten befänden sich „Rote“, kam ein Knick in die Entwicklung. Als das Land sein Bewusstsein wiedererlangte, hatte sich sein Witz gewandelt. Plötzlich tauchten in einer Reihe von Klubs ätzende, intellektuelle Komiker auf, die die man später, nachdem sich das politische Klima gebessert hatte, auch im Fernsehen und in größeren Theatern bewundern konnte. Mort Sahl war einer von ihnen. Lenny Bruce war zu intelligent, zu ätzend, zu unverblümt, um dem Klubmilieu zu entkommen.
Die Menschen, die sich Lenny Bruce ansahen, wollten geschockt werden. Ein seltsames Phänomen, aber die Leute wollten es nicht anders. Manchmal wurden sie durch ein neun Meter großes Plakat angelockt, auf dem Hitler zu sehen war, die Hand zum Nazigruß erhoben; darunter stand in Großbuchstaben: „Donnerstagabend Premiere. Adolf Hitler“. Und darunter in kleinerer Schrift: „Mit Lenny Bruce“. Und jeder Witz über Hitler wirkte wie ein Schock.
Lennys Ruf war enorm. Er war ein Produkt einer Kultur, die man gewöhnlich als Drogenkultur bezeichnet. Und vermutlich waren Drogen auch schuld an seinem Tod.
Doch was ihm jede Möglichkeit verbaute, dem Dunstkreis der Klubs zu entfliehen (vorausgesetzt, er hätte es gewollt), war seine Sprache. In der Welt, die er beschrieb, sagte jeder, was er fühlte. Ihre Bewohner nannten das Kind beim Namen. Es waren Menschen, für die das Leben Scheiße war, die fickten. Je extremer die Sprache, desto größer die Anhängerschaft. Aber die Sprache war nicht das einzig Geniale an Lenny. Es gehört zu den Travestien zeitgenössischer Geschichte, dass man sich allzu oft nur an die Schale erinnert. Lennys Sprache behält man im Gedächtnis, doch der Sinn hinter den Worten wird vergessen.
Auch das Ohr des Gesetzes lauschte seinen Worten. Bruce wurde im Dezember 1964, zwei Jahre vor seinem Tod, wegen einer Vorführung, die laut Gericht „obszön, anstößig, unmoralisch und unanständig“ war, vom Manhattan Criminal Court verurteilt. Was zur Folge hatte, dass er noch nicht einmal in den Klubs erscheinen durfte, in denen er früher seinen Lebensunterhalt verdient hatte.
Aus „Dustin“ von Michael Freedland (1989), übersetzt von Inge Holm für Droemer Knaur (1992)