Die wiedergefundene Textstelle: Der neue Comedian

betr.: 100. Geburtstag von Lenny Bruce

Lenny Bruce war das bekannteste Produkt einer Generation von komischen Satirikern oder satirischen Komikern, die zu jener Zeit erblühten, als Amerika sich entschied, es sei jetzt an der Zeit, aufzuhören, sich selbst zu ernst zu nehmen.
In den dreißiger Jahren unterhielt Will Rogers auf den angesehensten Bühnen Amerikas die Menschen mit aktuellen politischen Geschichten, während er ein Seil herumwirbeln ließ und seinen Optimismus bekundete.
Danach erschien Bob Hope mit seiner gefeierten Witzfabrik auf der Bühne und erzählte lokale Histörchen, womit er sich beim gediegenen republikanischen Establishment der Vereinigten Staaten sehr beliebt machte, durch das er es bis zum Multimillionär brachte.
Doch durch Senator McCarthy, der behauptete, unter oder in viel zu vielen Hollywoodbetten befänden sich „Rote“, kam ein Knick in die Entwicklung. Als das Land sein Bewusstsein wiedererlangte, hatte sich sein Witz gewandelt. Plötzlich tauchten in einer Reihe von Klubs ätzende, intellektuelle Komiker auf, die die man später, nachdem sich das politische Klima gebessert hatte, auch im Fernsehen und in größeren Theatern bewundern konnte. Mort Sahl war einer von ihnen. Lenny Bruce war zu intelligent, zu ätzend, zu unverblümt, um dem Klubmilieu zu entkommen.
Die Menschen, die sich Lenny Bruce ansahen, wollten geschockt werden. Ein seltsames Phänomen, aber die Leute wollten es nicht anders. Manchmal wurden sie durch ein neun Meter großes Plakat angelockt, auf dem Hitler zu sehen war, die Hand zum Nazigruß erhoben; darunter stand in Großbuchstaben: „Donnerstagabend Premiere. Adolf Hitler“. Und darunter in kleinerer Schrift: „Mit Lenny Bruce“. Und jeder Witz über Hitler wirkte wie ein Schock.
Lennys Ruf war enorm. Er war ein Produkt einer Kultur, die man gewöhnlich als Drogenkultur bezeichnet. Und vermutlich waren Drogen auch schuld an seinem Tod.
Doch was ihm jede Möglichkeit verbaute, dem Dunstkreis der Klubs zu entfliehen (vorausgesetzt, er hätte es gewollt), war seine Sprache. In der Welt, die er beschrieb, sagte jeder, was er fühlte. Ihre Bewohner nannten das Kind beim Namen. Es waren Menschen, für die das Leben Scheiße war, die fickten. Je extremer die Sprache, desto größer die Anhängerschaft. Aber die Sprache war nicht das einzig Geniale an Lenny. Es gehört zu den Travestien zeitgenössischer Geschichte, dass man sich allzu oft nur an die Schale erinnert. Lennys Sprache behält man im Gedächtnis, doch der Sinn hinter den Worten wird vergessen.
Auch das Ohr des Gesetzes lauschte seinen Worten. Bruce wurde im Dezember 1964, zwei Jahre vor seinem Tod, wegen einer Vorführung, die laut Gericht „obszön, anstößig, unmoralisch und unanständig“ war, vom Manhattan Criminal Court verurteilt. Was zur Folge hatte, dass er noch nicht einmal in den Klubs erscheinen durfte, in denen er früher seinen Lebensunterhalt verdient hatte.

Aus „Dustin“ von Michael Freedland (1989), übersetzt von Inge Holm für Droemer Knaur (1992)

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Kultfilm Azubis: Weltenverschiebung, Weltenverwirrung

Das Kinopublikum unterscheidet längst nicht mehr zwischen Sequels, Prequels und Remakes. Hauptsache, man muss sich nicht vor Überraschungen fürchten. Seit gestern verströmt „Tron: Ares“ diese wohlige Wirkung. Der dritte Teil der Urfassung von 1982 lässt diese wieder nach Kult duften. Wir haben uns das Original nochmals angeschaut.

https://alle42kultfilme.letscast.fm/episode/tron-und-andere-parallelwelten

A) Tron
Amerikanischer Science-Fiction-Film von 1982

Computergenie Flynn arbeitet bei einem mächtigen Kommunikationsnetzwerk namens Encom. Als er seinen Vorgesetzten Dillinger des geistigen Diebstahls verdächtigt, versucht er, in dessen Computernetzwerk zu gelangen. Ein Kollege, der wegen eines solchen Kummers schon früher aus der Firma geflogen ist, unterstützt ihn dabei. Flynn wird vom Sicherheitssystem MPC entdeckt, per Laserstrahl in seine elektronischen Komponenten aufgelöst und ins System integriert. Als Spielfigur muss er in diesem Cyberspace einen Gladiatorenkampf bestehen. Die „guten“ Programme kämpfen darin gegen die „bösen“ …

Seinerzeit ein Nischen-Spaß für die Freunde von Daddel-Automaten, ein buntes Spektakel zwischen Computeranimation, Zeichentrick, Videospiel und Spielfilm, sind dieser Disney-Produktion längst Subtexte, Geheimbotschaften und Meta-Ebenen zugefallen, die sich Regisseur Steven Lisberger vor mehr als 40 Jahren nicht hätte träumen lassen.

B) Harry außer sich / Deconstructing Harry
Satirische US-Filmkomödie von 1997

Bestsellerautor Harry Block hat sechs Therapeuten, drei Ehefrauen und unzählige Geliebte verschlissen. Zwar hat er das Glück, dieses Treiben literarisch vergolden zu können, doch sein soziales Umfeld reagiert zunehmend feindselig. Als ihn nun eine Schreibblockade befällt, wirft das nicht nur finanzielle Probleme auf – der letzte Verlagsvorschuss ist längst aufgebraucht –, sie raubt Harry auch sein wichtigstes seelisches Ventil. Zu allem Übel verbünden sich nun auch noch reale und erfundene Figuren gegen ihn …

Woody Allens über Jahrzehnte gepflegte fleißige Tradition, pro Jahr einen Film herauszubringen, hat dazu beigetragen, dass selbst Juwelen seines Schaffens dazwischen versunken bzw. in den Online-Diensten „nicht verfügbar“ sind. In Allens Heimatland, den USA, kann „Harry außer sich“ schon wegen der deftigen Vokabeln und der ganz besonders deftigen Eröffnungsszene nicht funktioniert haben. Dieser Film wirkt wie ein Gruß an seine europäischen Fans.

Nächste Woche: „Der letzte Tango in Paris“ und „Ein Mann sieht rosa“

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Cyberspace mit Tradition

Ab heute im Kino: „Tron: Ares“

Ein Konzern entwickelt auf der Basis des legendären Tron-Programms, die Möglichkeit, dessen digitale Bewohner in unsere reale Welt zu transportieren, um sie dort als Supersoldaten und -waffen einzusetzen. Nach einem vielversprechenden Start tauchen unerwartete Probleme auf. Das KI-Masterprogramm „Ares“ entwickelt ein eigenes Bewusstsein und stellt seinen Auftrag in Frage. Auch einigen unabhängigen Entwicklern sind die Pläne des Konzerns unbehaglich.

Offiziell ist „Tron: Ares“ die zweite Fortsetzung des Klassikers „Tron“ von 1982. Wäre „Tron“ ein Mensch, würde dieser Film ihm also einen Enkel bescheren. Anders gesagt: der alte Film wird dadurch zum Teil einer Trilogie, was heute vermutlich noch größere Rührung verursacht. Ich habe in diesem Zusammenhang schon Kinofreunde von einem Franchise reden hören.

Morgen nehme ich mir diesen Filmstart zum Anlass, mit meinem Kollegen Torben Sterner im Kultfilm-Podcast über das Original zu sprechen – „Der letzte Tango in Paris“ und „Ein Mann sieht rosa“ verschieben sich um eine Woche. Heute unterhalte ich mich mit zwei Kollegen, die den neuen „Tron“ vorab gesehen haben: Volker Robrahn und Ronny Fanta:

https://alle42kultfilme.letscast.fm/episode/tron-ares-aktuelle-filmkritik

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Raben und kleine Fische

betr.: 176. Todestag von Edgar Allan Poe

Edgar Allan Poe erklärte in seinem Essay „Die Methode der Komposition“ anhand des Beispiels „Der Rabe“ – seines berühmtesten Gedichtes -, die Verfassung eines künstlerischen Textes sei eine zuallererst handwerkliche Angelegenheit. Sie folge klaren Regeln, und schon die Veränderung eines Punktes könne alles ruinieren. Gleich zu Beginn räumt er ein, dass die Einfälle „in wirrem Durcheinander“ aufträten und ebenso wieder vergessen zu werden drohen, womit er durchaus die Wichtigkeit der Inspiration zur Grundlage machte.
Es ist eine aufregende, bereichernde Lektüre.
Aber ist ein solches Regelwerk nicht verdächtig? Kann man Kunst in Regeln fassen?

Wer schreibt – auch, wenn es sich nur um bescheidene künstlerisch-handwerkliche Dinge wie das Schreiben für Medien handelt – kennt dieses unentwegte Wechselspiel von unkontrollierbarer Eingebung und dem Befolgen dessen, was sich längst als zielführend herausgestellt hat. Ohne Erfahrung und Organisation geht es nicht.
Aber Poes Text macht mir auch besser als jedes andere Beispiel bewusst, dass es noch lange nicht gleich richtig ist, wenn zwei das gleiche sagen.

Als Mitarbeiter der „Stage School Of Music, Dance And Drama“, wie sie damals noch hieß, durfte ich einst einer internen Veranstaltung beiwohnen, einem Vortrag von Michael Kunze in einem großen Theatersaal. Deutschlands bei Fachwelt und Publikum populärster Liedtexter hätte unzweifelhaft viel Erhellendes zu berichten gehabt. Leider unterließ er es. Er diskreditierte seine Darlegungen bereits dadurch, dass er die Musicalgeschichte ausdrücklich mit Stephen Sondheim beginnen ließ (Sondheim wurde 1930, zwei Jahre nach „Show Boat“ geboren) und ihn dann als seinen Lehrer bezeichnete (Kunze ist sein gelegentlicher Übersetzer). Andere Personennamen kamen in der präsentierten Zeittafel gar nicht vor. Es folgte noch mehr objektiv Angreifbares.

Poes handwerklicher Haupt-Einwand gegen Kunzes Monolog hätte vielleicht darin bestanden, dass dieser sich keineswegs damit zufrieden gab, der wichtigste deutsche Schlagertexter in der Blütezeit des Deutschen Schlagers gewesen zu sein und davon zu erzählen. Er wollte von uns als Erfinder einer neuen Theatergattung wahrgenommen werden. Er nannte sie „DramaMusical“.
Nie gehört?
Eben.

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Kurt Weill zur Unzeit

betr.: 77. Jahrestag der Uraufführung von „Love Life“ (morgen)

Kurt Weills „Love Life“ von 1948 darf als erstes Konzeptmusical gelten, lange bevor es so etwas regelmäßig gab und ein Begriff dafür gefunden wurde. Obwohl ein beachtlicher Erfolg am Broadway, wurde von diesem Werk kurioserweise kein Original Cast Recording für die Schallplatte angefertigt, jenes Dokument, das seinerzeit alle Broadway-Musicals kurz nach der Premiere erfuhren, unabhängig von Bedeutung oder sich abzeichnendem Profit. Dass die Partituren von „Love Life“ verloren gingen, hat ein Nachholen dieses Versäumnisses lange verhindert. Auch die Prominenz des Librettisten Alan J. Lerner (später „My Fair Lady“) hätte dazu anregen können.
Nun meldet das Kulturradio, endlich sei eine rekonstruierte, eine vollständige Einspielung für CD in Sicht.
Leider weiß ich davon weder Label noch geplanten Erscheinungstermin. Doch schon in dieser knappen Form ist das eine beglückende Aussicht!  

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Jammern mit den Peanuts – Eine Richtigstellung

betr.: Das „Peanuts“-Jubiläum im „Kalenderblatt“

Heute vor drei Tagen und 75 Jahren erschien in sieben US-Zeitungen der erste Peanuts-Comicstrip. Der Deutschlandfunk würdige dieses Jubiläum mit einem „Kalenderblatt“. Der Titel des Beitrags lautete „Experten im Scheitern“. Im Beitrag wird klar, dass der Plural im Titel genau so gemeint ist: es wird der Eindruck erweckt, alle Peanuts seien beständig gescheitert. Das ist – vornehm gesagt – ein Missverständnis. Der große Comic von Charles M. Schulz handelte selbstverständlich auch vom Scheitern – nicht umsonst ist der beliebteste menschliche Charakter dieses Ensemblestücks, Charlie Brown, ein ewiger Pechvogel. Das hätte aber nicht funktioniert, hätte es daneben nicht auch die boshafte (und darin meist siegreiche) Lucy gegeben, den versonnenen Schroeder, die rustikale Peppermint Patty, ihre gründliche Freundin Marcie und all die anderen buchstäblich diversen Charaktere. Gar nicht zu reden vom sicher allerbeliebtesten Charakter, dem hedonistischen Beagle Snoopy. Der musste sogar in Traumwelten flüchten, um Schlachten zu verlieren, und war ansonsten in seinem selbstbewussten Auftreten seinem Herrchen Charlie gegenüber ein Vorläufer weniger charmanter Haustiercharaktere, die sich die Butter nicht vom Brot nehmen ließen, allen voran „Garfield“ (bekanntlich eine Katze).
Wann immer Charlie Brown der Verlierer war, gab es auch einen oder mehrere Gewinner.
Die „Peanuts“ im heutigen Trend auf das ewige Kokettieren mit der Vergeblichkeit zu reduzieren, tut dem Werk unrecht. Dabei handelt es sich um eine wirkliche „Comédie humaine“, ein Panorama, in dem das Scheitern angemessen vorkommt, aber keinesfalls das Konzept bedeutet.

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Ansehen oder Außenwirkung

Rankings sind eine Pest unserer Zeit. Kai Luehrs-Kaiser drückt sich auf radio 3 kultivierter aus: Die Sucht, auf irgendeinem Gebiet nach den jeweils Besten zu suchen und sie der Welt mitzuteilen, die Suche nach Rekordhaltern sei zumindest in der Klassischen Musik deplatziert. Er kommt zum Fazit: „Derlei Auspreisungen sagen über unsere Gegenwart mehr aus als über die ausgepreisten Künstler.“ Obwohl hier nicht die im Sport üblichen Medaillen vergeben werden können, gibt es ein paar Meisterinnen und Meister ihres Fachs, die in ihrer eigenen Branche als absolut führend und unübertrefflich angesehen werden: „Was die Dirigenten betrifft, werden in der Gegenwart Furtwängler und Karlos Kleiber als die absolut Größten angesehen, ein Urteil, das einem unter Musikern so unausbleiblich wiederbegegnet, dass es geradezu langweilig ist. Niemand redet von Toscanini, alle immer nur von Furtwängler, alle halten sich über Karlos Kleiber auf, kaum jemand noch über Karajan“, Letzterer bekanntlich der volkstümliche Popstar der Dirigierkunst. An diesem letzten Beispiel wird bereits deutlich, wie es zu diesen Abweichungen kommt: das Marketing (und Karajan war ein König der Selbstinszenierung) ist für’s Volk sichtbar und daher wichtig, für den Kollegen ganz und gar nicht. Umgekehrt werden handwerkliche Qualitäten und die Tugend der Effizienz im Betrieb von der Fangemeinde ebenso grundsätzlich ignoriert wie sie fachlich bedeutsam sind.
Luehrs-Kaiser interessiert sich also dafür, was ihm wichtige Musiker als ihr eigenes Urteil vermitteln: „Simon Höfele, der vermutlich bedeutendste Trompeter der jüngeren Generation auf dem Feld der Klassik, bestätigte mir, was keine Überraschung war, dass Maurice André (der kleine dicke aus den 70ern) noch immer allgemein als der Dawid Oistrach der Trompete angesehen und verehrt wird. Der russische Übergeiger ist damit gleich mitenthüllt, klarer Fall eines historischen Klassenbesten. Tatsächlich habe ich noch kaum einen Geiger getroffen – einschließlich Isabelle Faust und Gideon Kremer -, die oder der sich nicht leidenschaftlich zu Dawid Oistrach bekannt hätte, er repräsentiert immer noch den Goldenen Schnitt der Violinkunst. Niemand nennt Heifetz, niemand nennt Kreisler oder auch nur Perlman oder Szigeti, einige nennen Leonid Kogan, wenige Yehudi Menuhin. Oistrach muss es sein!“ Die Namen dieses internen Kanons „leuchten über alle Paradigmenwechsel hinweg, durch alle Krisen und Kehrausbewegungen hindurch, die inzwischen die Klassische Welt doch reichlich erschüttert haben“.

Ich kenne dieses Phänomen von mir selbst nicht nur auf Gebieten, auf denen ich nur nebenbei gewirkt habe (etwa im Zeichnen, wo Wallace Wood für mich der handwerklich Beste und Vielseitigste ist), sondern auch im gewissermaßen eigenen Fach. Die Musiker / Kabarettisten, mit denen ich mich austauschen konnte, stellen auf dem Gebiet des Chansons wie des musikalischen Humors aktuell ausnahmslos Sebastian Krämer oben hin: ganz meine Meinung! Niemand redet von Tim Fischer, Max Raabe oder Bodo Wartke. Die Älteren kennen und nennen noch Georgette Dee. Die war und ist nicht nur überragend, sondern außerdem eine historische Figur auf ihrem Gebiet. Die zuletzt beiseite Genannten hätten ohne sie gar nicht erst stattgefunden, jedenfalls nicht so. Egal, ob sie sie heute überhaupt noch kennen.

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Kultfilm Azubis: Familien-WG des Grauens

Ein Klassiker des untergehenden Studiosystems, ein Film über Hollywood und die Vergänglichkeit seines Glamours, ein „Sunset Boulevard“ mit Horrormaske, trifft im heutigen Podcast auf ein Drama aus dem Wien der Gegenwart. Das Problem beider Geschichten: es leben Verwandte länger zusammen als es ihnen selbst zuträglich ist:

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A) Was geschah wirklich mit Baby Jane? / Whatever Happened To Baby Jane?
Amerikanischer Psychothriller von 1962

Jane und Blanche, zwei alte Schwestern aus dem Showbusiness, wohnen zusammen in einer Hollywood-Villa. Sie fühlen sich tragisch aneinandergekettet: durch gegenseitige Abhängigkeit, durch tiefen Hass und durch einen weit zurückliegenden mysteriösen Unfall, der Blanche in den Rollstuhl befördert hat. Als Jane auf die absurde Idee kommt, ihre Bühnenlaufbahn wieder aufzunehmen, eskaliert die alte Rivalität der beiden in den blanken Irrsinn.

„Baby Jane“ ist ein Klassiker des Horrors wie auch der schwarzen Komödie und die künstlerische Gipfelleistung des Camp. Die verfeindeten Diven in den Hauptrollen starteten damit beide in ihre Alterskarrieren: Bette Davis (die irre Jane) in ein beachtliches, vielseitiges Spätwerk mit Selbstironie und ungebrochener Schauspielkunst, Joan Crawford (die leidende Blanche) in eine wüste Kette unfreiwillig komischer Hauptrollen in immer trashigeren Horrorfilmen, deren sinkende Qualität sich schon an den Titeln ablesen lässt. Robert Aldrichs Glanzstück wird bis heute gedeutet, parodiert und nacherzählt, und doch ist es ein Unikat geblieben.

B) Die Klavierspielerin
Deutsch-österreichisch-französisches Drama von 2001

Die 36jährige Erika Kohut ist Klavierlehrerin am Wiener Konservatorium und lebt bei ihrer kontrollsüchtigen Mutter, von der sie als Kind zum Klavierspielen gezwungen wurde. Eingeengt von der Dominanz der narzisstischen alten Dame ist Erika nicht in der Lage, Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen. Nur im sadomasochistischen Verhältnis zu einem ihrer Klavierschüler sieht sie einen Ausweg. Dabei verstrickt sie sich jedoch immer tiefer in grausame Machtspiele.

Wie die Filme seines Kollegen, Landsmannes und Zeitgenossen Ulrich Seidl sind auch die von Michael Haneke von dokumentarischem Realismus und entführen uns in die tiefstmöglichen menschlichen Abgründe. Im Gegensatz zu Seidl ist Haneke jedoch weder voyeuristisch noch prätentiös noch herz- noch geschmacklos. Die Klavierspielerin ist ein fast beliebiges Beispiel für das bravouröse Spätwerk dieses Kinoerzählers unmittelbar vor dem Aufstieg zu flüchtigem Weltruhm.

Nächste Woche: „Der letzte Tango in Paris“ und „Ein Mann sieht rosa“

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„Momo“ und die staubigen Verpuffer

Aktuelle Filmkritik: „Momo“ von Christian Ditter

Für die ARD-Kinderserie „Lemmi und die Schmöker“ wurden mit der damals üblichen kruden Bluebox-Technik Teile von Jugendbüchern verfilmt, damit wir vor dem Fernseher Lust bekamen, das jeweilige Buch komplett zu lesen. Der titelgebende Held der Serie war eine Stricksocken-Handpuppe, die als Bücherwurm auftrat – heute würde heute jeder sagen „Was für’n Scheiß“. Auf diese Weise kam ich in den Genuss der unvergesslichen „Momo“-Folge. Die bürokratisch auftretenden Herren von der Zeitsparkasse, die per Kostüm und Maske auf Schwarzweiß getrimmt waren, rauchten und waren derart zum Fürchten, dass ich es nie über mich brachte, mit dem Rauchen anzufangen.

In „Momo“, dem Film, um den es heute geht, wird erst gar nicht geraucht. Das wäre nach Meinung der schlichten Gemüter, die hier am Werk sind, wohl „unpädagogisch“. Grauenerregend ist der Film schon, wenn auch auf einer ungewollten Ebene. Kinder dürften sich im Angesicht dieses überzüchteten Gruselkitsches eher unverstanden und ratlos fühlen. Und Michael Ende braucht sich nicht mal im Grab umzudrehen, denn er würde sein Werk in diesem Produkt gar nicht wiederfinden. Dazu müsste es nämlich eine Handlung geben, eine Botschaft. Selbst Schauspielerei, die diese Bezeichnung verdient, sucht man hier vergeblich. Alexa Goodall als Momo ist ein mimikfreies, ausgekochtes Schickimicki-Früchtchen, dem man weder das bescheidene Hausen in einem Ruinenkeller abnimmt, noch dass sie sich überhaupt für ihre Mitmenschen interessiert. Die plumpen Satzbausteine, aus denen sämtliche Dialoge zusammengesetzt sind, lassen ihre Darstellung besonders armselig wirken. Momos Freund Gino kommt als sozialmedialer Hipster daher, der tatsächlich agiert, als habe er kein anderes Ensemblemitglied persönlich getroffen, sondern sei mit diesen erst in der Mischung zusammenkopiert worden. Und Martin Freeman alias Meister Hora, der unvermeidliche Stargast aus Hollywood, ist nicht nur wegen der dicken Klebekante seines Haarteils eine Lachnummer.  
Die international-vielsprachige Besetzung und die am PC generierten Hintergründe geben dem Film eine fröstelnde Ortlosigkeit. Die Szenen im Hauptquartier der Zeitdiebe, einer Art Eventlocation, sind kein bisschen anheimelnder als die in der Stadt oder im abendlichen Amphitheater. Die Bösewichte marschieren in Armeestärke auf, nur um dann wegen jedem Pups und Fliegendreck zu Staub zu zerfallen, ohne für Momo jemals eine wirkliche Gefahr darzustellen. Zur Not kommt ihre chronische Atemnot gerade recht, um sie von selbst zu verpuffen zu lassen.  

Wie sich das heute gehört, ist diesem Machwerk eine persönliche künstlerische Handschrift überhaupt nicht anzumerken. Es wirkt wie von einer KI ausgespuckt – und liegt damit absolut im Trend. Und doch ist „Momo“ ganz besonders vulgär und ärgerlich. 
Die vornehmste Pflicht eines Kinderfilms ist es, zu verzaubern. Das ist im Übrigen die Voraussetzung dafür, dass irgendeine Botschaft übermittelt werden kann, falls das denn gewünscht ist. „Momo“ versucht erst gar nicht, zu einem jugendlichen Publikum zu sprechen. Dieser Film ist so poetisch und märchenhaft wie ein Motorradunfall.

Die Kritik im Podcast zum Anhören: https://alle42kultfilme.letscast.fm/episode/momo-aktuelle-filmkritik
Außerdem ein Gespräch mit Viktor Hacker zum heutigen Filmstart von „A Big Bold Beautiful Journey“: https://alle42kultfilme.letscast.fm/episode/a-big-bold-beautiful-journey-aktuelle-filmritik und mit Torben Sterner über „The Smashing Machine“: https://alle42kultfilme.letscast.fm/episode/the-smashing-machine-aktuelle-filmkritik

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Tierhaargespräche

geführt von Monty Arnold

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