Tierhaargespräche

geführt von Monty Arnold

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Angebote an den Volksmund: Das generische Füllmonster

betr.: Neologismus

Seit die KI von uns allen gratis genutzt werden kann, ist zu den obligatorischen retuschierten Portraitfotos noch das retuschierte Bewegtbild hinzugekommen. Wer jetzt einfach konsequent zu Hause bleibt und sich niemandem mehr zeigt, wer alle physischen Kontakte abbricht und nur noch virtuell mit anderen zusammenlebt, der kann sich störungsfrei in die Wahnvorstellung versetzen, tatsächlich so auszusehen wie in seinem Videoblog oder seinem TikTok-Auftritt.

Auch wer es etwas lockerer angeht, kann sich selbst im Social-Media-Auftritt kinderleicht jünger machen – um nichts anderes geht es ja. Und außerdem schlanker, fleckenloser, weniger spießig. Oder er kann die KI bitten, gleich etwas ganz Neues zu erfinden.

Noch sind diese Fakes auf den ersten Blick als solche erkennbar und lösen unwillkürliches Kopfschütteln aus. Doch noch ehe die rasant dazulernende KI die letzten verräterischen Zeichen getilgt haben wird, werden diese gar keine Rolle mehr spielen. Wir werden uns rasch daran gewöhnen, es „im Netz“ mit „Kunstfiguren“ zu tun haben. Es wird uns egal sein, dass wir von einigen unserer „Freunde“ niemals erfahren werden wie sie eigentlich aussehen. Und das wird uns nichts ausmachen – so wie wir im Grunde wissen, dass Hannibal Lecter privat Anthony Hopkins heißt und in Wirklichkeit niemals die Gesichter seiner Opfer anziehen würde, und uns trotzdem gerne vor ihm gruseln.
Das Wort „Kunstfigur“ will ich sogleich wieder zurücknehmen, denn mit „Kunst“ hat dies alles nichts zu tun, streng genommen nicht einmal mit Künstlichkeit. Wir sind auf einer ganz neuen Ebene der Verstellung, der (Selbst-)Täuschung angekommen.
Das Wort „Avatar“ zu recyceln finde ich deshalb unglücklich, weil der damit bezeichnete Gegenstand weiterhin gebräuchlich bleibt und – dem gegenseitigen Verständnis zuliebe – eine eigene Bezeichnung verdient.
Bis ein flotter Anglizismus dafür gefunden ist, würde ich vorschlagen, von einem Füllmonster zu sprechen.

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Wirkmächte und Schwerfälligkeiten

Das Wesen des Kopfkinos

Das Kino im Kopf dessen, dem eine Geschichte erzählt wird, ist weitaus älter als das Kino selbst – so weit, so banal.
Dass es bis in unsere heutige Zeit der allzeit verfügbaren bewegten Bilder ein urmenschliches Bedürfnis ist, sich selbst Bilder vorzustellen (das Kopfkino anzuwerfen), fand der Schriftsteller Clemens J. Setz durch einen aktuellen Trend belegt: er beschreibt in der „Zeit“ die immense Beliebtheit von Nacherzählungen brutaler Gewaltaufnahmen auf TikTok und YouTube. Die Stars dieser Formate erzählen abscheuliche Fundstücke aus dem Netz wie Hinrichtungsvideos nach „damit ihr es nicht selbst anschauen müsst“. Tatsächlich ernten sie hohe Klickzahlen von jenen, die diese Videos selbst dann nicht mehr anklicken, wie man herausgefunden hat. Warum nicht? Weil die eigene Vorstellungskraft viel entsetzlicher ist als das tatsächlich Gezeigte.
Außerdem kann man bei einem Film(chen) die Augen schließen, wenn man die Details nicht mehr erträgt. Die eigene Vorstellungskraft kann man nicht abschalten. Das wussten die Erzähler des Kinos fast von Anfang an.
So unterschiedliche Filmemacher wie Alfred Hitchcock und Werner Herzog haben das, was sie uns nicht hören und sehen lassen konnten oder wollten, in reagierenden Gesichtern gespiegelt – Hitchcock in „Easy Virtue“ (1927), Herzog in „Grizzly Man“ (2005).
Jack Arnold hätte das Alien in seinen B-Film-Klassiker „It Came From Outer Space“ („Gefahr aus dem Weltall“, 1953) überhaupt nicht im Bild gezeigt, wenn ihn das Filmstudio nicht dazu gezwungen hätte. Sein Film „Monster On The Campus“ („Der Schrecken schleicht durch die Nacht“, 1958) ist besonders spannend bis zu dem möglichst lange hinausgezögerten Moment, in dem das Titelwesen endlich zu sehen ist.
Historisch – weil konsequent umgesetzt – wurde der Kunstgriff spätestens in Steven Spielbergs erstem Kinofilm „Duel“ (1972): von dem dämonischen Truck-Fahrer, der dem Helden nach dem Leben trachtet, sehen wir nur die Stiefel. 

Nach diesem Prinzip funktioniert die Literatur seit jeher. Sie verlässt sich auf unser Kopfkino.
Clemens J. Setz freut sich über die ungebrochene Gültigkeit der Regel, „dass die richtig gewählten Worte eine reale Form von Telepathie darstellen“, auch bei der Generation Z. Bilder können in einem abstumpfenden, absurden Maße grausam auf uns wirken. Sie sind insofern weniger eindrucksvoll als wenn „mein eigener, ganz sich selbst überlassener Kopf beim Entwerfen von allein durch Worte suggerierten Bildern spielt“.
Für die Erzähler selbst können die grenzenlosen Kräfte der Imagination auch von Nachteil sein.
Woody Allen, der in 55 Jahren 50 Filme gedreht hat, beklagte in mehreren Interviews, dass ein Film nie so gut würde wie er es sich beim Schreiben des Drehbuchs vorstellt. Wenn er großes Glück habe, würde er immerhin nicht wesentlich schlechter. Mindestens einen seiner Filme hat Allen nach Fertigstellung vernichtet und mit anderer Besetzung vollständig neu gedreht.

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Tierhaargespräche

geführt von Monty Arnold

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Endlich auch mal gesehen: „Dark Star – Finsterer Stern“

betr.: Schließung einer persönlichen Bildungslücke

Ein Raumschiff gleitet durchs Weltall, begleitet von den fröhlichen Klängen eines Country & Western-Songs. Vier Männer vom Typ „Öko-Schluffi next door“ (drei Astronauten und ein Passagier wider Willen) sind auf einer jahrelangen Mission, und es sieht entsprechend versifft aus. Auch die Technik nutzt sich immer weiter ab, und ein rundes Alien mit Hühnerfüßen, das einer der Astronauten unbedingt als Haustier behalten wollte und das von den anderen als „nichtsnutziges Hüpfgemüse“ verspottet wird, gerät außer Kontrolle und sorgt zunehmend für Misslichkeiten. Richtig gefährlich wird es, als eine der Bomben, die eigentlich instabile Planeten zerstören sollen, sich entschließt, gleich an Bord zu explodieren. Gutes Zureden hilft nicht, denn das Ding ist intelligent und hat seinen eigenen Kopf; heute würde man von einer KI sprechen …

Nicht erst in dieser Szene, gleich in der ersten Minute wird uns klargemacht, dass es sich a) um einen Jux handelt und b) ganz speziell „2001: Odyssee im Weltraum“ durch den Kakao gezogen wird. Wenn man den Film nun Jahre später sieht, muss man außerdem an „Alien“ denken, der uns eigentlich immer so vorkam, als hätten wir dort erstmals gesehen, wie unaufgeräumt, dreckig und uncool das Innere eines Raumschiffs aussehen kann, das uns ja stets als exklusiver, bei „Raumschiff Enterprise“ sogar recht gemütlicher Arbeitsplatz gegolten hat. Nun stellen wir fest: Dan O’Bannon, der an den Drehbüchern beider Filme mitarbeitete, hat es schon früher gewusst. (Dazwischen hatte es noch „Lautlos im Weltraum“ gegeben, der einen ähnlichen innenarchitektonischen Ansatz hat.)
„Dark Star“ ist ein sehr sympathischer Film, doch seine genrespezifische war 1974 schon ein alter Hut; die erwähnte TV-Serie hat das schon früher und besser gemacht. Die damaligen Kinogänger sahen ihn natürlich vor dem Hintergrund einer Flut von Science-Fiction-Trash, in dem die Reihe beachtlicher Klassiker, die dieses Genre ebenfalls hervorgebracht hatte, aus dem Blickfeld gerutscht war. Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen Elend und Größe im SF-Kino häufiger in beide Richtungen verschoben worden sind als in jeder anderen Sparte.

Der beste Grund, sich „Dark Star – Finster Stern“ heute anzusehen, ist vermutlich, dass es sich um ein Frühwerk von John Carpenter handelt, der erst vier Jahre später mit „Halloween“ so reich und berühmt wurde, dass er sich einen edleren Look leisten konnte. In der Tat zog dessen Erfolg auch „Dark Star“ mit sich, der bis dahin eine Art Geheimtipp für Enthusiasten gewesen war.
Immer wieder erstaunt die Pfiffigkeit, mit der „Dark Star“ die Beschränkungen von Bastelkeller und Pappkulisse überwindet. Doch der Look ist so schrabbelig und improvisiert, dass er uns Heutigen zuweilen den Blick auf die Tricksequenzen verstellt, die für ihre Verhältnisse gar nicht so übel waren.
Auch der Humor ist nicht gut gealtert. Die Witze sind entweder so gut, dass wir sie inzwischen zu oft gehört haben, oder sie waren schon immer flach. Der welke Strandball, der das bockige Alien spielt, ist allenfalls beim ersten Anblick lustig, danach ist er nur noch ein lästiges Billig-Requisit. Die Darsteller wirken sämtlich wie hilfsbereite Homies, die aus Nettigkeit mitspielen und dann zu ihrem jeweiligen Hauptberuf zurückkehren. Und ihre althippiehafte Surfer- bzw. Rockerromantik ist für mich persönlich keine Option, um mich aus diesen Niederungen herauszutragen.

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Sensitivity Reading – Dichtung und Wahrheit

Sensitivity Reading gibt es zweimal. Einmal so wie es sinnvoll sein könnte und wie es von den Verlagen dargestellt wird. Und ein andermal so wie es sich zuweilen tatsächlich abspielt und vom Autor als ein Akt der Zensur erlebt werden kann.
Dahinter steht die löbliche Absicht, im Rahmen des Lektorats zu kontrollieren, ob sich in einem Manuskript Formulierungen finden, die einzelne Lesende in ihren Gefühlen bzw. in ihrer Selbstwahrnehmung verletzen könnten. Der Autor soll auf diese Weise davor bewahrt werden, ungewollt und unbewusst den Eindruck zu erwecken, rassistisch, frauenfeindlich oder sonstwie angreifbaren Geistes zu sein. (Und der Herausgeber davor, sich mit kritischen Reaktionen herumplagen zu müssen.)

In einer Gegendarstellung, die ein Verlag auf Anfrage des BR abgab, hört sich das Verfahren (hier in Auszügen) so an: „Ein Sensitivity Reading wie es im Fall von Sören Siegs Buch ‚Oh, wie schön ist Afrika‘ stattgefunden hat, ist ein übliches Verfahren. Der Autor war von Anfang an in den Prozess einbezogen. Die Sensitivity Readerin wurde in vollstem Einvernehmen beauftragt, den Text zu prüfen. Das Ergebnis ihrer Lektüre wurde besprochen und dabei diskutiert, ob und wo man den Empfehlungen folgt. Ein Stellen vor vollendete Tatsachen hat es nicht gegeben. Sensitivity Reading ist für uns eine Form der Beratung. Ob wir den Empfehlungen folgen, wo wir sie weiterentwickeln oder ggf. auch verwerfen, ergibt sich immer im Gespräch zwischen Lektorat und Autor*innen. Letztere haben die entscheidende Stimme in diesem Prozess, so auch Sören Sieg.“
Der genannte Autor, Sohn des verstorbenen Satirikers Wolfgang Sieg und im Hauptberuf ein international erfolgreicher Komponist, erlebte das anders. Er erklärte in einem Interview mit dem BR, künftig gar nicht mehr über einen Verlag publizieren zu wollen. Er hatte zuvor ein Dutzend gut verkaufter Bücher geschrieben, einige davon unter humorvoll-provozierenden Titeln wie „Ich bin eine Dame, Sie Arschloch“.

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Kurze Sittengeschichte der Push-Nachricht

Push-Benachrichtigungen werden auf „neueren mobilen Kommunikationsgeräten“ zum schnellen Erreichen des Empfängers eingesetzt. Die Benachrichtigung kommt von einem Programm, welches auf dem Gerät installiert ist, und wird direkt auf den Bildschirm, auch bei Gebrauch anderer Programme, eingeblendet.
Aus nostalgischer Sicht ist die Push-Benachrichtigung das heutige Pendant zum News-Flash im linearen Radio des späten 20. Jahrhunderts: eine besonders dringende Meldung, derzuliebe das laufende Programm unterbrochen wurde (zur Not sogar, ehe der laufende Musiktitel endete), zumeist eingekleidet in reißerisches Jingle. Zur Zeit des Zweiten Golfkriegs (auch Erster Irakkrieg) 1990 fand dieses Ritual vorübergehend sogar Eingang ins laufende Fernsehprogramm.

In einem Artikel in der „taz“ bemühte Julian Weber kürzlich den amüsanten Vergleich dieser aggressiven Form der „Eilbotschaft, die aus einer Nachricht ein Clickmonster machen will“ mit einer Wortschöpfung des Science-Fiction-Autors Philip K. Dick. Der machte in einer frühen Erzählung aus einem Schwein ein „Wobb“, „ein bedrohliches Mischwesen im All, das konstant nach Aufmerksamkeit heischt, dazu völlig irrational in seinen Bewegungsabläufen umherwabert und daher für Raumfahrer:innen schwer zu fassen ist.“

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Endlich auch mal gesehen: „American Graffiti“

betr.: 85. Geburtstag von Francis Ford Coppola / Schließung einer persönlichen Bildungslücke

Der Produzent und „Star Wars“-Verursacher George Lucas kommt als Regisseur nur auf ein halbes Dutzend Einträge. Das verblüfft auf den ersten Blick, aber schließlich hat er seine wahre Bestimmung ja in der Erneuerung der Art und Weise gefunden, in der heute überhaupt Hollywood-Kino gemacht und rezipiert wird.
Sein zweiter Film als Regisseur (und der erste, der großen Erfolg hatte) wurde von Francis Ford Coppola produziert: „American Graffiti“. Der hat dieser nostalgischen Schilderung einer kalifornischen Sommernacht anno 1962, an deren Ende für eine Gruppe von Schulabgängern der Ernst des Lebens beginnen soll, ein aus heutiger Sicht echtes Highlight hinzugefügt: den noch unbekannten Harrison Ford, den er in seinen eigenen Regiearbeiten gern in Minirollen einsetzte.
„American Graffiti“ war früher zweierlei: ein Kultfilm und ein moderner Klassiker. Abgesehen von den drei genannten Personalien – und noch einigen weiteren, die gleich folgen – hat er dem heutigen Betrachter nichts mehr zu erzählen.

Zwar lobte die Kritik in seherischer Weise die junge Darstellerriege – so etwa Hans Günther Pflaum: „Ich kenne aus diesem Jahrzehnt bis heute keinen Film, der bis in die kleinste Nebenrolle so genial besetzt worden wäre wie dieser – und das mit gänzlich unbekannten und unverbrauchten Gesichtern.“ -, doch keiner davon kommt gegen die Logikfehler des kleinteiligen Drehbuchs sowie gegen die völlige Abwesenheit von Schauspielführung an. Der LukeSkywalker-Darsteller Mark Hamill hat in Interviews oft und gern erzählt, wie wenig ihn George Lucas in „Krieg der Sterne“ (1977) angeleitet und dass dieser sich ausschließlich für Tricktechnik und Bildgestaltung interessiert habe. Diese Nachlässigkeit ist in „American Graffiti“ bereits voll ausgebildet und beispielhaft zu besichtigen.
Das Drehbuch – Gloria Katz und Willard Huyck werden als Lucas‘ Mit-Autoren genannt – steckt voller verreckender Pointenversuche (der Auftritt des quasselnden Gebrauchtwagenhändlers, Milners Handschuhfach voller Strafzettel, das Mädchen, das lieber wie Sandra Dee aussehen will und nicht wie Connie Stevens, das gesamte linkische Getue des Brillenträgers Terry …). Die Umsetzung ist voller Anschlussfehler, deren deutlichste (der mehrfache Wechsel von Tageslicht zu nächtlicher Dunkelheit) an die Versäumnisse von Ed Wood erinnern, den offiziell schlechtesten Filmregisseur aller Zeiten. In der deutschen Synchronfassung – die sich offenbar bemüht, dem handwerklichen Niveau des Materials zu entsprechen – wird eine „Jugendsprache“ markiert, die peinlicher und papierener ist als alles, was ich in diesem Zusammenhang je auf der Leinwand gehört habe. (Immer wieder heißt es: „Das ist echt schau!“ – „schau“ ist hier ein Adjektiv.) Bei Sprachwitzen bündeln sich diese beiden Aspekte, und es wird besonders unangenehm.
Hin und wieder ertappt man sich dabei, dass man den ungenutzten Regiestuhl gerne ehrenamtlich besetzen würde. Die Szene vor dem Schnapsladen z.B. hat so viel komisches Potenzial, dass man sich nur fragt, wieso sie sich so vollständig im Leerlauf befindet.

Die vielgerühmte Besetzung ist nicht ganz so reich an späteren Stars wie gern gesagt wird, aber einige Namen sind aus heutiger Sicht durchaus klangvoll. Ron Howard (hier noch Ronnie) hat sich bald erfolgreich aufs Regiefach verlegt, hatte zuvor aber noch einen sehr hübschen Auftritt im JohnWayne-Spätwerk „The Shootist“. Richard Dreyfuss führt das Ensemble offiziell als Hauptdarsteller an, ist mit Mitte 20 für seine Rolle aber zu alt und agiert insgesamt sehr lahm und passiv. Harrison Ford schließlich hat nicht viel zu tun und erledigt das Wenige ohne jeden Aufwand: er verliert ein Autorennen à la „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ und darf vorher noch „Some Enchanted Evening“ singen, einen Song von Rodgers & Hammerstein, der das verachtenswerte Gegenteil des Rock‘ n‘ Roll symbolisieren soll.

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Der Ich-Erzähler und Du (2)

betr.: Lesen vom Blatt / Sprechen am Mikrofon

Über die Herausforderung, einen Ich-Erzähler zu gestalten

Fortsetzung vom 5. April 2024

Werden Fragen dieser Art nicht vor Beginn der Aufnahme geklärt (und unterwegs im Hochgefühl der Improvisation oder ähnlicher Schlampereien „einfach mal weg-gelesen“), verderben sie das Ergebnis und fallen dem Zuhörer auf die Füße.

In der „ARD Audiothek“ findet sich eine Lesung von Regina Münch, die sehr fleißig und mit angemessener Sorgfalt Literaturklassiker für das Online-Angebot des WDR einliest. Im Falle der „Sherlock Holmes“-Geschichte „Das Landhaus in Hampshire“ unterläuft ihr (bzw. ihrer Regie) ein Fehler, da der Text besondere Wachsamkeit erfordert hätte.
Frau Münch nimmt zunächst die Perspektive des allwissenden Erzählers ein. Als Holmes und Watson Besuch von einer jungen Frau bekommen, die den berühmten Detektiv um Rat bittet, folgt ein längerer Abschnitt, der in einer Verfilmung vermutlich als Rückblende umgesetzt würde. Die schüchterne Violet Hunter schildert ihr Treffen mit ihrem künftigen Arbeitgeber, einem dicken, temperamentvollen Herrn namens Jephro Rucastle, der ihr etwas unheimlich ist. In dieser Textpassage (der Geschichte in der Geschichte) gestaltet Frau Münch die wörtliche Rede dieses Mannes mit viel Ausdruck. Anstatt Rucastles Worte mit der Stimme der verunsicherten Miss Hunter zu zitieren, chargiert sie dessen markanten Sound auf direktem Wege. Dadurch werden wir aus dem Zimmer in der Baker Street, in der wir ihrer Schilderung lauschen, zu dem zurückliegenden Treffen und in das Büro der Arbeitsvermittlerin mitgenommen. So etwas funktioniert – wie gesagt – im Film. Ebenso im Hörspiel (wie wir in der älteren Hörspielfassung von „Das Landhaus in Hampshire“ erleben können, wo Gerd Duwner den Rucastle spricht. Diese Aufnahme steht in der gleichen Mediathek bereit). In einer Lesung ist dieses Vorgehen verwirrend. Wäre Miss Hunter die Erzählerin der kompletten Geschichte, würde es so eventuell funktionieren (obwohl die saftige Imitation Herrn Rucastles nicht zum zurückhaltenden Charakter der jungen Frau passt).
Zugegeben: dieses Problem ist im Originaltext von Arthur Conan Doyle bereits angelegt, wo Miss Hunter alle Beteiligten wörtlich zitiert, anstatt mehr mit indirekter Rede zu arbeiten. Allein: es hilft nichts.

Ich hatte einmal mit einem Verlagslektor zu tun, der grundsätzlich den Einsatz von wörtlicher Rede missbilligte. Und so vermied ich sie nach Möglichkeit in meinen Texten, um ihm nicht unnötig zu irritieren. In dieser Grundsätzlichkeit finde ich seine Haltung falsch – ganz offensichtlich hat er in seiner Funktion sehr viele schlechte Dialoge lesen müssen.
Im Falle der beschriebenen Szene in „Das Landhaus in Hampshire“ würde ich ihm zustimmen.

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